Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
Vom Netzwerk:
Besuchszeit ist zu Ende, brummte der Aufseher und stand auf, um Andrejko in seine Zelle zu bringen, und Andrejko erhob sich und schlurfte mit weit aufgerissenen Augen zur Tür. Als sich der enge dunkle Gang vor ihm auftat, schrie er vor Verzweiflung und vor Schmerz auf, wie ein geprügelter Hund jaulte er auf und riss sich vom Aufseher los, er stürzte zurück zum Tisch und warf sich gegen den Maschendraht, hinter dem immer noch seine Marketa saß, seine Blume, seine Sonne, in der ein neues Leben keimte, das man ihm nehmen wollte. Andrejkos Augen röteten sich und seine Finger verhakten sich im Maschendraht, der Aufseher versuchte ihn wegzureißen, aber keine Kraft der Welt hätte Andrejko vom Draht lösen können. Der Wärter redete ihm eine Weile gut zu, dann ließ er ihn los, um Hilfe zu holen, während Andrejko am Maschendraht hing und ihn mit seinem Kopf zu durchstoßen versuchte, er schrie wie ein waidwundes Tier, und von seinen Fingern tropfte Blut. Schließlich sackte er erschöpft auf der Tischplatte zusammen.
    Als man ihn in seine Zelle zurückschleppte, hörte und spürte er nichts mehr. Aber das Donnern in seinem Kopf |200| nahm kein Ende, schwere Züge waren in Bewegung, Glas schepperte, klirrende Splitter und scharfe Kanten schmerzten wie Salz in einer Wunde, und die angespannt verzweifelten Töne in seinem Inneren weinten und klagten ohne Unterlass.

|201| 16.
    Auf die Gerichtsverhandlung musste Andrejko nicht lange warten. Aber es kümmerte ihn nicht, wie sie ausgehen würde, ihm war alles gleichgültig geworden, verwundert ließ er sich zum Gericht und wieder zurück fahren, verwundert hörte er fremde Menschen sagen: Mord   … ungeordnete Verhältnisse   … Raubüberfall   … asozial, keine Anzeichen von Reue   … Andrejko konnte den gewundenen Wörtern und Paragrafen nicht folgen, aber er spürte, wie sie sich immer enger um seinen Hals schlangen. Der Staatsanwalt verlangte eine exemplarische Bestrafung, der Verteidiger gähnte, und die Gerichtsmaschinerie keuchte unaufhaltsam vorwärts, die Mühlen mahlten, und die Schlinge zog sich zu   … Andrejko hing am Kreuz, aber er spürte keine Schmerzen, er fühlte sich zum Bersten voll und zugleich ausgedörrt und leer, vor Müdigkeit und Verzweiflung konnte er sich kaum auf den Beinen halten und doch umspielte ein stilles Lächeln seinen Mund. Er aß nicht, weil er keinen Hunger hatte, er trank nicht, weil sein Körper kein Wasser brauchte, und wenn die Häftlinge zum Duschen gebracht wurden, bugsierten ihn seine Zellengenossen dorthin. Während sie ihre Tage durch Morgenappell, Abendappell, Essensausgabe und das wöchentliche Baden gegliedert wussten, lebte Andrejko einzig für den Hofgang. Unter den Gefangenen, die beim Ausgang die Köpfe zwischen die Schultern zogen und vor Kälte |202| bibberten, war Andrejko der Einzige, dessen Blick nach oben gerichtet war, er ließ Wassertropfen und tauende Schneeflocken sein Gesicht benetzen und sah den Spatzen zu, die von einem Dach aufs andere flogen. Denn von seiner Zelle aus konnte er den Himmel nicht sehen   … Und nachts träumte er von der Welt jenseits des Eisentors und der mit Stacheldraht gekrönten Betonmauer, von einer Welt, in der man die Schreie der Aufseher, das Knallen schwerer Gefängnistüren und das Klappern von Alulöffeln auf billigem Kochgeschirr nicht mehr hören würde, von einer Welt, in der Lagerfeuer brannten und in der man mit geschlossenen Augen zum Horizont aufbrechen konnte   …
    Andrejko sah ein Licht in der Ferne, er rief und lockte es zu sich, die kleine, flackernde Flamme erhellte seine schlaflosen Nächte, manchmal besuchte sie ihn auch tagsüber, er brauchte nur die Augen zu schließen   … Einmal warteten die Gefangenen vor der schweren Gittertür auf den Hofgang, Andrejkos Seele aber schwebte schon draußen, er sog gierig die frostige Luft ein und hielt sein Gesicht in die Sonne, als über seinem Kopf eine Klingel zu schrillen begann, ein rotes Licht pulsierte heftig, und die Sirene heulte auf. Die Gefangenen duckten sich und pressten sich die Hände auf die Ohren, die Aufseher verriegelten rasch alle Türen und rannten ziellos durch die Gänge, auch sie wussten nicht, was passiert war. Der Lärm, der durchdringende Klingelton und das grelle Licht rissen Andrejkos Kopf in Stücke, eine dunkle Kraft beutelte ihn, sie nahm seinen Körper in die Zange und schleuderte ihn gegen das Metallgitter, dann gegen die graugrüne Blechtür am anderen Ende des Ganges. Die

Weitere Kostenlose Bücher