Mach mal Feuer, Kleine - Roman
früher ihre Verwandten in Poljana, die geschrien und gesungen hatten, wenn sie traurig waren oder sie sich freuten. Marián und Imro schrien, weil sie sich langweilten, sie schrien vor Wut über geplatzte Geschäfte … Manchmal schleppten die Cousins tätowierte Knastbrüder an, fiese Gestalten aus der Gosse, Spezialisten für Drecksarbeit, die aus irgendeinem Grund für sie wichtig waren, denen mussten sie vorführen, wer zu Hause das Sagen hatte, wer es sich leisten konnte, verschreckte Kinder anzuschnauzen, und wer Andrejko anpöbeln durfte, vor dem sie mittlerweile regelrecht Ekel empfanden, weil er freiwillig dort gelebt hatte, wo ihrer Meinung nach der Arsch der Welt lag.
Andrejko kehrte wieder in die Brauerei zurück, aber im Gärkeller wollte man ihn nicht mehr, es hieß, dort sei keine Stelle frei, doch schließlich versprach sich der Meister, er hätte Angst, Andrejko irgendwo alleine zu wissen. Das müsse Andrejko doch verstehen, sagte er und unterstrich seine Worte mit einer Handbewegung, von wegen, sie beide bräuchten sich nichts vorzumachen … Also fing Andrejko bei der Flaschenabfüllung an, inmitten unbeschreiblichen Getöses der Maschinen und des Geklirres der Flaschen auf dem Fließband, |226| inmitten von Glasscherben und dem Geruch nach abgestandenem, verschüttetem Bier.
Hier standen keine Männer gemütlich um ein Bierfass herum, hier wärmte keiner Maßkrüge im heißen Wasser vor. In der Abfüllabteilung wurde die Zeit durch den unerbittlichen Rhythmus der Maschinen und das durchdringende Sirenengeheul am Anfang und am Ende der Schicht bemessen. Weil Andrejko neu war, wurde ihm eine Arbeit zugewiesen, um die sich sonst keiner riss, er musste umgekippte Flaschen auf das Fließband zurückstellen und Scherben aufsammeln, manchmal wurde er losgeschickt, um die Abfüllmaschine oder den Erhitzer sauber zu machen. In den Erhitzer musste er hineinklettern und haufenweise Scherben hinauskehren, während weitere Flaschen um ihn herum platzten und vor dem Erhitzer die Arbeiter darauf warteten, dass die Arbeit weiterging, sie tranken gekühltes Bier und lobten Andrejkos Geschicklichkeit, wobei sie sich insgeheim freuten, dass man wieder einen unbedarften Trottel eingestellt hatte, der alles mit sich machen ließ.
Nimm’s nicht so schwer, riet ihm der Gabelstaplerfahrer Venca, der die Leergutpaletten zum Fließband brachte. Im Sommer sind die Werkstudenten da, das ist dann deren Job, und du hast deine Ruhe, kannst dich aufs Ohr hauen … ich hab auch mal Scherben ausgekehrt, hab mich auch hocharbeiten müssen …
Wie ein Fluss ohne Anfang und ohne Ende strömten die klirrenden Flaschen auf dem Fließband dahin, und wenn Andrejko die Augen schloss, sah er Tante Majka vor sich. Hier hatte sie gearbeitet, bevor der Lastwagen sie gegen die Rampe drückte. Jetzt saß an ihrem Platz eine andere Frau, von zwei schmuddeligen Neonröhren beleuchtet starrte sie auf das Band und suchte nach nicht komplett gefüllten Flaschen, |227| die sie herunternahm. An den Maschinen wechselten sich die Arbeiter in regelmäßigen Abständen ab, damit sie vor lauter Eintönigkeit nicht durchdrehten; nur sie wollte ihren Platz nicht wechseln, sie saß dort die ganze Schicht hindurch, den ganzen Tag …
Eines Tages rannte Andrejko verzweifelt um den Erhitzer herum, aus dem so viele Scherben hervorsprudelten, dass er sie nicht wegzuräumen vermochte, als die Frau unter den Neonröhren zu schreien anfing und wild mit den Armen fuchtelte, als würde sie wegfliegen wollen. In dem Lärm konnte Andrejko sie nicht verstehen, er dachte, es sei etwas passiert, jemand sei in die Maschine gefallen oder sei von ihr am Arm erfasst worden, er sprang also zum nächsten roten Notknopf, und alles blieb stehen. Nur die Frau fuchtelte weiter mit den Armen und rief mit brüchiger Stimme: Flügel müssten wir haben, um das alles zu schaffen, Flügel … Und etwas verhakte sich, an dem Tag lief nichts mehr, und der Schichtmeister rannte wie von Sinnen durch die Halle, das Soll war gefährdet, die Quartalsprämien standen auf dem Spiel, seine Prämie …
Andrejko litt fürchterlich, aber er riss sich zusammen, er musste durchhalten, denn er hatte das Geld bitter nötig. Abgesehen davon brauchte er einen Ort, an den er gehörte, er musste etwas Sicherheit und Geborgenheit finden, und seien sie auch noch so zerbrechlich, damit er die Flüsterstimmen überschreien konnte, die ihn ständig verhöhnten, vor denen er sich
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