Mach mich nicht an
geglaubt. »So, du hältst einen Mann, der dich mit einem Stanleymesser bedroht, also nicht für gefährlich, wie?«
»Wahrscheinlich ist er einfach ausgeflippt. Und ich -«
»Du hast dich nicht getraut, mir deine Theorie zu unterbreiten? Hast du gedacht, ich würde dir oder deinem Instinkt nicht trauen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ach was. Ich wollte dich nur nicht mit einer verrückten Idee belasten, die völlig aus der Luft gegriffen war. Du hattest schon genügend um die Ohren: Die Polizei verdächtigte deine Exfrau, sie bettelte dich um Geld an, das Gästehaus schwebte in Gefahr...« Annabelle seufzte und fasste sich mit der Hand an die Kehle.
Erst da bemerkte er, dass Roy sie mit der Klinge leicht gestreift hatte. Er legte behutsam einen Finger auf die gerötete Stelle.
»Er hat dich verletzt.« Der Gedanke ließ Wut in ihm aufsteigen; primitive, Besitz ergreifende Wut. Als hätte niemand außer ihm das Recht, diese Frau zu berühren. Als gehöre sie auf immer ihm. Fürsorge und Beschützerinstinkt; solche Gefühle waren ihm bisher völlig fremd gewesen - so fremd wie ... wie Liebe, zum Beispiel. Liebe?
»Mir geht es bestens, ehrlich«, beteuerte Annabelle indessen, ohne seinen emotionalen Aufruhr auch nur zu ahnen.
Da tauchte Nick auf. »Vaughn? Die Polizei möchte mit euch beiden sprechen.«
»Nicht jetzt. Annabelle wurde verletzt und steht unter Schock. Ich fahre später mit ihr aufs Revier.«
»Aber es geht mir gut«, sagte sie erneut, doch er ignorierte ihren Protest und zog sie an der Hand hinter sich her.
»Wir fahren jetzt nach Hause.« Er wollte, nein, musste sich persönlich davon überzeugen, dass mit ihr alles in Ordnung war.
So hatte Annabelle ihn noch nie erlebt. So ernst, in solch düsterer Stimmung. Sie konnte sich zwar durchsetzen und der Polizei an Ort und Stelle Rede und Antwort stehen, aber dann überließ sie ihm das Kommando. Obwohl ihr nicht das Geringste fehlte, bestand er darauf, seinen Wagen beim Gästehaus stehen zu lasen und sie in ihrem Auto nach Hause zu fahren. Es erweckte fast den Anschein, als hätte ihn der Vorfall mit Roy mehr mitgenommen hatte als sie selbst.
Während der Fahrt herrschte Schweigen. Höchstwahrscheinlich sann er über diese unerwartete Lösung all seiner Probleme nach; darüber, dass sich ein Mann, dem er vertraut hatte, gegen ihn gewendet hatte.
Wenigstens konnten die Renovierungsarbeiten nun ohne weitere Verzögerungen, sabotagebedingt oder nicht, abgeschlossen werden, was bedeutete, dass kein Krisenmanagement mehr vonnöten war. Sie musste nur noch eine abschließende Pressemeldung herausgeben, aus der hervorging, dass man den Täter gefasst hatte, wie das von Anfang an ihr Ziel gewesen war. Ihre Arbeit in Greenlawn war somit beendet. Wenn Vaughn ihre Dienste als PR-Beraterin weiterhin in Anspruch nehmen wollte, würde sie seinem Wunsch nur zu gerne nachkommen, doch den Rest konnte sie auch von New York aus erledigen. Nun war es endgültig Zeit, nach Hause zu fahren. Der Gedanke schnürte ihr die Kehle zu.
Sie betraten das Haus, und Vaughn warf die Tür hinter sich ins Schloss. Es war alles so rasch gegangen, dass sie nicht dazu gekommen war, ihm ihre neuesten Ideen zu unterbreiten. Sie musste ihm unbedingt von den zahlreichen weiteren Möglichkeiten erzählen, mit denen sein Projekt für hilfsbedürftige Jugendliche ein Erfolg werden konnte.
Er schien so schweigsam und in sich gekehrt, dass sie es nicht gewagt hatte, ihn direkt anzusehen, seit sie zu Hause angekommen waren. Und auch jetzt zögerte sie noch.
»Hör mal, ich habe da noch eine letzte Idee, die ich gerne umsetzen möchte, wenn es dir recht ist«, sagte sie hastig und ohne ihn anzusehen. »Da ich bezweifle, dass das College mit den Namen und Adressen seiner Studenten für eine Mailingaktion herausrücken wird, habe ich einen Brief und eine Vorlage für einen Prospekt verfasst, um die Zuständigen darauf hinzuweisen, dass die Eltern in deinem Gästehaus bestens aufgehoben sind, wenn sie ihre Sprösslinge während des Schuljahres besuchen wollen. Du könntest dem College vorschlagen, den Prospekt dem Infopaket beizulegen, das die Studenten zum Schulanfang erhalten.«
Keine Antwort. Sie zwang sich, ihn anzusehen - womöglich zum letzten Mal. Er stand an die Wand gelehnt da und musterte sie schweigend, finster und nachdenklich. Sein Gesicht war ausdruckslos wie eine Maske, sodass sie nicht erahnen konnte, was in seinem Inneren vor sich ging.
Das Herz klopfte ihr bis zum Hals,
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