Mach mich nicht an
vollständig abgebrannt«, erklärte er schaudernd und schüttelte dann den Kopf. »In diesem Ausmaß war das gar nicht geplant gewesen. Ich hatte so ein schlechtes Gewissen und -«
In diesem Augenblick wagte Vaughn sich einen Schritt nach vorn. Seine Stiefel knarrten auf dem Holzboden. Roy fuhr herum, bemerkte, wie sein großes Idol ihn mit einer Verachtung anstarrte, als wäre er das Letzte vom Letzten. Annabelles Bemühungen, den Mann aus der Reserve zu locken, waren mit einem Schlag zunichte gemacht.
Sie blickte vom einem zum anderen. Roy machte sich ihre sekundenlange Unachtsamkeit zunutze: Blitzschnell griff er nach seinem Stanleymesser und zog Annabelle an sich.
Sie erstarrte, als ihr klar wurde, dass der verängstigte Vorarbeiter ihr die Klinge an die Kehle hielt.
»Ich wollte nicht, dass es so weit kommt, ehrlich nicht.« Roys Stimme bebte. Annabelle spürte Feuchtigkeit im Nacken. War das nun sein Angstschweiß oder war Roy etwa in Tränen ausgebrochen?
»Mach jetzt bloß keine Dummheiten, Roy«, flehte Vaughn händeringend.
»Keine größeren Dummheiten als die, die ich bisher angestellt habe, meinst du? Sag bloß, du hast das alles mit angehört. Sag bloß, dieses Miststück hat dich angeschleppt und das alles für dich inszeniert.«
»Nein, habe ich nicht!« Im Gegenteil - sie hatte ihren Verdacht Vaughn gegenüber erst äußern wollen, sobald sie absolut sicher war.
»Halt‘s Maul.« Roy presste sie fester an sich. »Ich muss denken und ich kann nicht denken, wenn du redest. Du bist wie meine Frau, die hat auch den ganzen Tag den Mund offen.«
»Da hast du allerdings Recht, Roy. Die Weiber und ihr ständiges Genörgel.« Vaughn wirkte sogar noch blasser als Annabelle sich fühlte. »Komm schon, wir kennen uns doch schon eine halbe Ewigkeit. Du würdest nie jemandem vorsätzlich wehtun.«
Annabelle fühlte, wie Roy nickte. Doch er war noch immer höchst angespannt und drückte ihr nach wie vor das Messer an die Kehle. Sie schloss die Augen und analysierte ihre Lage. Sie stand direkt vor Roy - ein Tritt in die Familienjuwelen fiel also flach. Außerdem war ihr Arm zwischen seinem und ihrem Körper eingeklemmt.
»Es tut mir schrecklich Leid«, murmelte Roy. »Es gibt Tage, da finde ich es klasse, wie sehr du dich um Todd kümmerst. Aber manchmal werde ich wahnsinnig vor Eifersucht, weil Todd dich so verehrt und mir ständig aus dem Weg geht.«
Vaughn hörte sich das Gebrabbel an, die Arme noch immer vor dem Körper ausgestreckt. »Du weißt genau, das ist nicht wahr. Jedes Kind durchläuft doch eine Phase, in dem es seine Eltern peinlich findet. Ich erinnere mich noch gut an diese Zeit - du etwa nicht?«
Roy schwieg.
»Und ich verstehe Todd, weil ich wie er Dyslektiker bin. Wusstest du das?« Damit hatte er seinem Vorarbeiter seine allergrößte Schwäche anvertraut. »Und ich bin sicher, das ist der Grund, weshalb er sich mir anvertraut. Aber das bedeutet nicht, dass du auf der Strecke bleibst, Roy. Du bist schließlich sein Dad.«
»Ja, ich bin schließlich sein Dad«, wiederholte Roy geistesabwesend. Seine gesamte Aufmerksamkeit galt jetzt Vaughn, seinem Idol. Annabelle holte tief Luft, dann fasste sie Mut und mit der Hand nach seinem Gemächt und drückte kräftig zu.
Als er vor Schmerz aufschrie und seine Umklammerung lockerte, ließ sie sich sofort zu Boden fallen.
Vaughn hatte Annabelle nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen. Ihre Attacke kam zwar überraschend, aber er stürzte sich sogleich geistesgegenwärtig auf Roy, warf ihn zu Boden und rang mit ihm um das Messer. Kaum hatte er Roy und die Waffe unter Kontrolle, da traf auch schon die Polizei ein und übernahm, sodass Vaughn sich um Annabelle kümmern konnte.
Der Vorarbeiter war im Nu überwältigt und wurde in Handschellen abgeführt, wobei man ihn über seine Rechte aufklärte.
Annabelle warf einen Blick über die Schulter und rief: »Tut ihm nicht weh!«, während Vaughn ihr auf die Beine half. »Findest du nicht, du solltest dich um dein eigenes Wohlergehen sorgen statt um ihn? Was hast du dir überhaupt dabei gedacht, den Kerl im Alleingang zu überführen?« Er schüttelte sich bei dem Gedanken an die Gefahr, in die sie sich begeben hatte.
»Ich weiß, er hat einen ziemlichen Schaden angerichtet, aber gefährlich ist er nicht. Er braucht lediglich psychiatrische Hilfe.« Sie starrte Vaughn aus tiefblauen Augen verständnisheischend an.
Er war nicht in der Stimmung, mit ihr zu streiten und hätte ihr nur zu gern
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