Mach mich nicht an
, fragte sich Annabelle, wird Brandon Vaughn zum Eisklotz, sobald er seine Mutter sieht? Solche Dinge interessierten sie brennend. Da sie selbst eine Waise war, gehörte es zu ihren Lieblingsbeschäftigungen, die Familien ihrer Mitmenschen und die Beziehung zu ihren Eltern zu studieren.
Als Vaughn beharrlich schwieg, trat seine Mutter einen Schritt nach vorn. »Wie ich sehe, haben sich deine Manieren keinen Deut gebessert. Nun, dann stelle ich mich eben selbst vor: Ich bin Estelle Vaughn, Brandons Mutter«, sagte sie zu Annabelle. »Und mit wem habe ich die Ehre?«
Jetzt gab Vaughn sich doch geschlagen und stellte die beiden Frauen einander vor. »Annabelle Jordan, eine alte Bekannte aus dem College, die mich für ein paar Tage besucht. Annabelle, das ist meine Mutter.«
»Sehr erfreut.« Annabelle wickelte sich die Hundeleine ein wenig fester um die Hand, sodass Boris die makellose Erscheinung nicht anspringen konnte.
»Warum hast du nicht erwähnt, dass du Besuch erwartest?«, schalt Estelle ihren Sohn, als wäre er ein kleines Kind.
Vaughn, der so gar nichts Kindliches an sich hatte, reagierte sichtlich verärgert. »Wozu auch - sag bloß, du hättest einen Kuchen gebacken.«
Sowohl Annabelle als auch Estelle zuckten zusammen. Keine Mutter ließ sich gern respektlos behandeln, aber Vaughn schien fest entschlossen, ihr sogar ein Minimum an Höflichkeit vorzuenthalten. Die ganze Szene stellte Annabelle vor ein Rätsel. Sie selbst hatte sich unzählige Male gewünscht, ihre Mutter wäre noch am Leben; hatte sich nach einem ganz normalen Familienleben mit Zwistigkeiten und Versöhnungen gesehnt. Vaughn dagegen wusste es offenbar überhaupt nicht zu schätzen, dass seine Eltern beide noch lebten. Hatte er denn keine Ahnung, wie wichtig es war, eine Familie zu haben?
»Ach, nein, wahrscheinlich hättest du eine deiner berühmt-berüchtigten Dinnerpartys gegeben«, fuhr er nun fort. »Tja, die Mühe kannst du dir sparen. Annabelle ist nämlich mein Gast und ich habe nicht vor, mit ihr auch nur einen Fuß in euer Haus zu setzen.«
Annabelle fühlte sich unbehaglich, als würde sie ein Gespräch belauschen, das sie nichts anging. Sie trat einen Schritt zurück. Weder Mutter noch Sohn nahmen davon Notiz.
»Schade«, stellte Estelle fest. Ihr Bedauern wirkte aufrichtig. »Deine Freunde sind uns immer willkommen. Aber ihr habt bestimmt eigene Pläne.« Damit wollte sie wohl andeuten, dass Vaughn und Annabelle ihrer Ansicht nach mehr als nur alte Bekannte waren.
Das gab Annabelle Anlass, sich zu fragen, ob er wohl öfter Frauen - vor allem Groupies - mit nach Hause nahm. Nein, mit Sicherheit nicht. Sie dachte an seine Reaktion auf ihren roten Flitzer, seine Ermahnung, sie solle bloß keine Aufmerksamkeit auf sich lenken, sein Bedürfnis nach Ruhe und Frieden. Vaughn mochte bei öffentlichen Auftritten gelegentlich eine Show abziehen, aber hier in seiner Heimatstadt legte er viel Wert auf Privatsphäre. Nun, das musste sich ändern, wenn er seinem Projekt zu einem positiveren Image verhelfen wollte.
Aber zunächst galt es, diese höchst unerquickliche Diskussion zwischen Mutter und Sohn zu beenden.
5
Annabelle verspürte
den unbändigen Wunsch, als Friedensstifterin zwischen Mutter und Sohn zu fungieren. »Oh, wir haben uns viel vorgenommen«, mischte sie sich nun ein und riss damit bewusst das Ruder an sich. »Ich bin frischgebackene Managerin eines Hotels in New York City. Vaughn und ich dachten, wir könnten einander ein wenig unter die Arme greifen.«
Der Angesprochene warf ihr einen warnenden Blick zu, mit dem er ihr unmissverständlich zu verstehen gab: Misch dich bloß nicht in mein Leben ein.
Annabelle zuckte unschuldig die Achseln. Da er keine Anstalten machte, die Unterhaltung ein wenig zu vereinfachen, blieb das wohl oder übel an ihr hängen.
Ihr PR-Plan sah ohnehin vor, dass er sich nicht immer so zugeknöpft gab.
»Was verschafft mir eigentlich die Ehre deines Besuches?«, erkundigte sich Vaughn.
Estelle strich sich eine imaginäre Haarsträhne aus dem professionell geschminkten Gesicht. »Ich wollte dich daran erinnern, dass beim Galadiner morgen Abend der Leiter des Greenlawn College anwesend sein und sich bei dieser Gelegenheit mit dir über den Job als Coach unterhalten wird. Es werden auch ein paar Vorstandsmitglieder zugegen sein, daher wäre es wichtig, dass du kommst.«
»Und zwar in erster Linie für Theodore.«
»Für deinen Vater ist jede Dinnerparty, die mit dem College zu tun hat,
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