Mach sie fertig
Montagmorgen war heftiger, als er erwartet hätte.
Auf dem Küchentisch lag ein geöffnetes Kuvert. Daneben einige Bögen Papier. Mit der Aufschrift Adoptionszentrum. Als er sich vorbeugte, spürte er, wie sein Herz schneller schlug. Das kann nicht wahr sein. Bitte mach, dass wir Glück haben. Dass bei mir mal was klappt.
Es fühlte sich an, als klebten die einzelnen Bögen zusammen. Er war nervös, zitterte, bemühte sich, langsam zu lesen. Eine Menge Füllwörter.
Ihre Angaben sind kontrolliert worden und der betreuende Arzt zu Rate gezogen worden. Unsere Ambition ist es, dass die Familie den Bescheid über ein Kind nicht nur zügig erhält, sondern dass die Angaben darüber hinaus so korrekt und vollständig wie möglich sind. Wie umfangreich die Informationen sind, die wir zu dem jeweiligen Kind einholen konnten, variiert jedoch sehr von Land zu Land.
Er las alles durch, auch wenn er am liebsten weitergeblättert hätte. Vielleicht als Vorbereitung auf einen eventuellen negativen Bescheid. Er fragte sich, warum Åsa nicht angerufen hatte.
Dann folgten eine Menge nicht übersetzter Dokumente der estnischen Behörden, Stempel, skurrile Unterschriften. Die Seiten danach: Beschreibungen des Kinderheims, das Alter des Jungen, sein Zustand, die Familienverhältnisse. Richtlinien für die Abholung, Bedingungen für weitere Gewährleistungen, und so weiter. Und dann auf den letzten Seiten: die Bilder. Von Sander.
Der Junge war das schönste Kind, das er je gesehen hatte. Ein sechzehn Monate altes, blondgelocktes kleines Kerlchen mit braunen Augen und Stupsnase. Er liebte den Kleinen sofort: Sander. Sein Herzschlag ging in rhythmisches Freudengeläut über. Zum ersten Mal seit so vielen Jahren wurde ihm richtig warm ums Herz. Fühlte er sich glücklich. Es war phantastisch. Er rief Åsa an.
Sie meldete sich nach dem ersten Klingeln. Sprudelte schier über vor Freude. Redete und weinte abwechselnd. Thomas störte sich ausnahmsweise nicht daran. Er fühlte dasselbe, sie würden einen Sohn bekommen. Sie begannen unmittelbar, Pläne zu schmieden. Wann sie den Kleinen holen würden, die Einrichtung des Kinderzimmers. Tapeten, Lampen, Kinderbett, Autokindersitz, Kinderwagen, Tragesitz. All das, worüber Åsa ihre Freundinnen schon seit vielen Jahren hatte reden hören.
Åsa sagte, dass sie ihn nicht hatte anrufen und mit der Neuigkeit wecken wollen. Er sollte die Überraschung unten in der Küche selbst entdecken, wie sie es auch getan hatte. Thomas lachte. Vielleicht war er zu streng mit ihr, wenn es um seinen Schlaf ging.
Donnerwetter – er würde Papa werden. Er konnte sich nicht entscheiden: lachen/weinen. Weinen/lachen. Vor Freude weinen.
Er trainierte oben im Fernsehzimmer. Die Freude war immer noch spürbar. Aber die anderen Gedanken drängten sich auf. Mehr als zehn Wochen, seit er zu den Verkehrsdeppen versetzt worden war. Mehr als acht Wochen, seit seinem ersten Einsatz beim neuen Arbeitgeber. Der Nebenjob als Mann der Jugos war besser, als er erwartet hatte. Im Stripclub fühlte er sich wie zu Hause. Das Leben wandelte sich schnell. Die Sichtweise in Bezug auf den Job. Die Einstellung zu der ganzen Sache. Sie änderte sich mit den Jahren, eins kam zum anderen. Die Veränderung lag nicht im Job selbst – sie entsprang der eigenen Person. Und eines schönen Tages befand man sich in einer Situation, in der es keine Rolle mehr spielte, wie man mit dem Abschaum und nicht zuletzt mit sich selber umging. Erachtete es als normal. Er dachte oft an seinen Vater. Gunnar hatte Schweden mit aufgebaut. Daran geglaubt, dass alle mit dabei wären. So dass kein Volksverräter den Aufbau verhindern würde. Aber er selbst war da inzwischen nicht mehr so sicher. Wie war er von seinen eigenen Leuten behandelt worden? Ljunggren und Lindberg? Sicher, sie stießen beim Freitagsbier auf ihn an, aber was dachten sie wirklich? Zum Beispiel, dass Ljunggren sich an dem betreffenden Abend darauf eingelassen hatte, anderweitig eingesetzt zu werden, und nicht mit ihm Streife gefahren war. Seine Bedenken im Nachhinein kamen so oder so zu spät. Es existierte kein Corpsgeist, wenn man ihn benötigte. Im Vergleich dazu waren Ratko, Radovan und die anderen, die er bisher getroffen hatte, noch echte Männer. Rechtschaffen auf ihre eigene Weise. Sie standen zu ihrem Wort, hielten, was sie versprochen hatten. Er bekam den Lohn, den sie ausgemacht hatten, ohne schriftlichen Vertrag, aber das Wichtigste von allem – nichts sickerte zu Åsa
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