Mach sie fertig
eines Nachts vor ihrem Haus gestanden hatte, war es ihm gelungen, die Angst in irgendeine Ecke seines Unterbewusstseins zu schieben. Er funktionierte, wie er immer funktioniert hatte: konnte die innere Unruhe mit Zynismus und Verleugnung überspielen. Die Ziele waren wichtiger. Er wurde von seiner eigenen Wut getrieben. Er wurde von dem Gedanken getrieben, dass Reflexion gleichbedeutend war mit Kapitulation. Und als er die Verbindungen zum Palme-Mord zu durchschauen begann, wurde er zusätzlich von einem recht eigenartigen Gefühl getrieben – einer Art Pflichtgefühl gegenüber seinem alten Herrn und gegenüber Schweden. Jetzt allerdings, nachdem ihn jemand niedergeschlagen hatte, und nach Hägerströms Anruf wegen Adamsson wusste er nicht mehr, ob er sich überhaupt von irgendetwas weitertreiben lassen sollte.
Adamsson war bei einem Unfall auf der Autobahn E 18 am Verkehrsknotenpunkt Stäket ums Leben gekommen. Nach Hägerströms Worten deuteten die Ermittlungen daraufhin, dass er in die Mittelleitplanke gefahren und von dort zurück auf die Straße geschleudert worden war. Wo ein vierzig Tonnen schwerer LKW Adamssons Landrover zu Brei stampfte. Vielleicht war es Zufall, vielleicht stand das Ganze aber auch in einem größeren Zusammenhang.
Irgendwann würde es auch ihn treffen, mit Sicherheit. Er konnte mit dem Gedanken daran leben. Aber Gedanke Nummer zwei war schwerer auszuhalten: Es könnte auch Åsa treffen. Der dritte Gedanke haute ihn nahezu um: Es würde auch das Kind treffen können, das sie noch nicht bekommen hatten, Sander.
Dennoch: Es würde so kommen, wie es kommen sollte. Thomas fielen keine Alternativen ein. Er musste weitersuchen.
Er redete mit seinem Bruder, Jan. Eigentlich pflegten sie keinen engen Kontakt zueinander. Hegten Vorbehalte nach zu vielen Jahren des Schweigens. Das Einzige, was dennoch dafür sorgte, dass sie sich nach wie vor wie Brüder fühlten, war das Unbehagen; es war irgendwie anders als das, was man für einen Fremden empfindet. Und dennoch mochten sie einander, schickten sich Postkarten aus dem Urlaub, Weihnachtsgrüße und Glückwünsche zum Geburtstag. Thomas hatte dafür gesorgt, dass Åsa und er am Heiligabend zu Jan eingeladen wurden.
Am Tag darauf, am ersten Weihnachtstag, ging er abends zu Åsa nach oben. Der Fernseher lief: irgendeine Dokumentation über Rechtsextremisten in Russland. Die Leute sahen allesamt dicklich und angeheitert aus. Er fragte sich, warum sie ausgerechnet heute so einen dramatischen Mist zeigten.
Sie saß mit angezogenen Beinen auf dem Sofa. Auf dem Beistelltisch lag der Folder, den sie so oft vor sich liegen hatte, mit den Fotos von Sander.
Der letzte Besuch des Adoptionszentrums vor einer Woche war gut verlaufen. Es schien so, als hätten die Frauen, die gekommen waren, den Eindruck, dass Åsa und Thomas gut darauf vorbereitet waren, ein kleines Kind in Empfang zu nehmen. Åsa hatte in diesem Jahr besonders viel Weihnachtsschmuck aufgehängt. Vielleicht, um die Besucherinnen zu beeindrucken, vielleicht auch als Einstimmung auf das Familienleben, das sie bald führen würden.
Sie schaute auf. Im Hintergrund redeten die Russen im Fernsehen darüber, wie das Eigentum ihres Vaterlandes an fremde Nationalitäten veräußert wurde. Åsa sagte: »Es war wirklich nett gestern bei Jan.«
Thomas holte tief Luft: »Åsa, wir haben eine schwierige Situation vor uns.«
Sie atmete mit offenem Mund, was ziemlich dämlich aussah.
Thomas fuhr fort: »Bald kommt Sander. Das wird der schönste Augenblick in unserem Leben.«
Sie lächelte. Nickte. Blätterte weiter im Folder – verlor das Interesse an Thomas. Ungefähr so, als wollte sie sagen: Ich bin ganz deiner Meinung, du kannst jetzt gehen.
Thomas sagte: »Ich will diesen Augenblick nicht zerstören, und ich will ihn auch nicht aufs Spiel setzen. Deshalb müssen wir gewisse Dinge verändern. Gemeinsam.«
Åsas Lächeln erstarb.
»Ich befinde mich im Augenblick in einer kniffligen Situation. Einer gefährlichen Situation. Es geht um gewisse Ermittlungen, an denen ich arbeite. Kannst du dich an diesen Internen erinnern, über den ich mich vor einiger Zeit mokiert hab?«
Åsa sah aus, als könnte sie ihm nicht folgen.
Thomas spürte, wie er sich innerlich wand. »Er und ich sind in etwas verwickelt, womit ich nicht umgehen kann, und die Polizeibehörde auch nicht. Es gibt Menschen, die aus einem persönlichen Interesse hinter mir her sind. Die gedroht haben, mir was anzutun, und die mich
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