Mach sie fertig
»Herein.«
Drinnen: Chaos – eine derartige Unordnung im Raum, dass man ohne Mühe ein Motorrad darin hätte verstecken können. Entlang der einen Wand ein Regal mit Büchern, Zeitungen und vor allem Ordnern. Auf dem Boden haufenweise Hefter, randvoll mit Akten. Polizeiberichte, Beschlagnahmeprotokolle, Informationsmaterial, Notizzettel mit Angaben von Kontaktpersonen, Ermittlungsunterlagen, zum Teil in Klarsichthüllen auf dem restlichen Boden verteilt. Der Schreibtisch war mit ähnlichen Dingen überhäuft: Ausdrucke von Zeugenvernehmungen, Voruntersuchungsberichte und anderes Zeug. Kaffeebecher, zur Hälfte ausgetrunkene Ramlösa-Flaschen und Orangenschalen überall. Dumdumgeschosse, Kautabakdosen und Stifte auf einem Haufen direkt vor einem Computerbildschirm. Irgendwo unter all den Papieren musste sich eine Tastatur befinden. Irgendwo in dem Durcheinander musste sich auch ein Kriminalinspektor finden.
Ein magerer Typ kam zum Vorschein. Er musste hinter der Tür gestanden haben.
Streckte die Hand vor.
»Hallo. Thomas Andrén, oder? Martin Hägerström heiß ich. Kriminalinspektor.«
»Seit kurzem, oder?« Thomas mochte dieses überhebliche Gehabe nicht: Manchesterhosen, das grüne Hemd mit den beiden obersten Knöpfen offen, die Unordnung im Zimmer, die zerzauste Frisur des Typen. Die nicht uniformierte Freizügigkeit.
»Eigentlich nicht. Ich bin vor sechs Monaten von den Internen reingeholt worden. Hier fällt jede Menge Arbeit an. Sie brauchten dringend Verstärkung. Und wie ist es bei Ihnen? Skärholmen war das, oder?«
Hägerström räumte einige Akten beiseite, die sich auf einem Designerstuhl von Arne Jacobsen stapelten. Bedeutete Thomas, sich zu setzen. In seinem Kopf hatte sich ein Wort festgesetzt: die Internen – Martin Hägerström war einer von ihnen. Ein Mann aus der Fünften Kolonne, ein Kollaborateur, ein Verräter – einer der polizeiinternen Ermittler. Diejenigen, die damit beschäftigt waren, andere Polizisten einzulochen, Kollegen, Amtsbrüder. Die Abteilung, in die man Leute aus anderen Polizeidistrikten des Landes holte, damit sie keine Freunde in dem Umfeld hatten, in dem sie arbeiteten. Der absolute Albtraum eines jeden Polizisten. Der Erzfeind aller halbwegs normalen Männer. Die unterste Stufe jedweder Hierarchie.
Thomas bedachte ihn mit einem reservierten Blick.
»Okay. So einer sind Sie also.«
Hägerström hielt seinem Blick stand, sah ihn seinerseits noch abweisender an.
»Ja genau. So einer bin ich.«
Hägerström nahm von irgendwoher einen leeren Notizblock und einen Stift zur Hand.
»Es wird nicht lange dauern. Ich möchte nur, dass Sie kurz berichten, was Sie gesehen haben, mit wem Sie gesprochen haben und wie Sie die Situation im Treppenhaus vorgestern Nacht erlebt haben. Ihren Bericht habe ich ja bereits vorliegen, aber wir haben die Untersuchung des Fundortes noch nicht abgeschlossen und bisher auch nur ungefähr ein Drittel der Personen vernommen, die sich vor Ort befanden. Manchmal benötigt man zusätzliche Informationen, um sich ein Bild machen zu können.«
Thomas setzte sich. Sah aus dem Fenster.
»Was brauchen Sie denn für zusätzliche Informationen? Ich weiß auch nicht mehr als das, was im Bericht steht.«
Die schnellste Möglichkeit, langwierigen Berichterstattungen zu entgehen, bestand darin, auf den Bericht zu verweisen. Thomas wollte weg von hier, das Ganze war Zeitverschwendung.
»Wir können ja mit dem beginnen, was geschah, als Sie vor Ort eintrafen. Zum Beispiel wie Sie die Leiche gefunden haben.«
»Steht das nicht im Bericht?«
»Hier steht, dass Sie, und ich zitiere, ›den Toten im Keller vor dem Kellerabteil Nummer 14 ‹ fanden. Das ist das Einzige.«
»Aber genauso war es auch. Im ersten Stock stand eine Familie in Morgenröcken im Flur und wollte wissen, was passiert sei. Sie sagten mir, dass er da unten liege. Ich bin runtergegangen. Die Tür war verschlossen, und ich hab sie aufgebrochen. Sah als Erstes das Blut und Erbrochene auf dem Kellerfußboden. Dann hab ich den Toten entdeckt. Er lag mit dem Gesicht zum Boden gewandt da. Aber davon haben Sie ja bestimmt Fotos, oder?«
Der Kripofritze ließ nicht locker. Stellte jede Menge weitere Fragen. Wie die Familie im Treppenhaus ausgesehen hatte. Wie die Kellerräume angelegt waren. Thomas stellte fest, dass er die falsche Taktik gewählt hatte – er hätte gleich zu Beginn schon ausführlicher antworten sollen. Das hier würde, verdammt nochmal, den ganzen Abend dauern.
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