Mach sie fertig
starrte ihn an.
Niklas stand reglos da.
Keine Boots – lediglich dünne Mizuno-Joggingschuhe.
Keine verstärkten Hosen – nur Shorts.
Keine Pistole.
Sie bewegte sich nicht. Kam ihm groß wie eine Katze vor.
Panik stieg in ihm auf.
Jemand bewegte sich im Hausflur.
Die Ratte reagierte. Sprang runter vom Kasten.
Verschwand entlang der Hauswand.
Niklas öffnete die Haustür und ging rein. Drinnen war eine junge Frau damit beschäftigt, Müll durch den Müllschlucker in der Wand zu entsorgen. Ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt, dunkles langes Haar, rabenschwarze Augenbrauen, braune Augen. Süß. Möglicherweise war sie eine Hadschi, wie die Amerikaner die Zivilisten dort unten nannten.
Er ging langsam die Treppen rauf. Schweißgebadet. Aber nicht vom Joggen. Eher vom Schock über die Ratte.
Die Frau folgte ihm. Er fummelte mit seinen Türschlüsseln herum.
Sie stand jetzt vor ihrer Tür, in derselben Etage. Beobachtete ihn. Öffnete die Tür.
In Jogginghosen, einem weiten Collegepulli und Flip-Flops.
In dem Moment begriff er – sie war offensichtlich seine Nachbarin. Er musste sie grüßen, auch wenn er nicht wusste, wie lange er hier überhaupt wohnen würde.
»Hej, ich sollte mich vielleicht vorstellen«, sagte er.
Ohne es selbst richtig zu begreifen, hörte er seine eigene Stimme sagen: »Salam aleikum. Kef haleki?«
Ihr Gesicht erhellte sich und nahm einen völlig anderen Ausdruck an – sie lächelte breit und erstaunt. Zugleich schaute sie zu Boden. Er kannte dieses Verhalten. Da unten begegnete eine Frau niemals dem Blick eines Mannes, außer die Huren.
»Sprichst du Arabisch?«
»Ja, ein bisschen. Ich kann mich zumindest mit einer Nachbarin unterhalten.«
Sie lachten.
»Nett, dich kennenzulernen. Ich heiß Jamila, wir begegnen uns bestimmt irgendwann mal in der Waschküche, oder so.«
Niklas sagte seinen Namen.
Jamila war im Begriff, die Tür zu schließen. Sagte: »Auf Wiedersehen.« Dann ging sie rein, in ihre Wohnung.
Niklas stand noch vor seiner Tür.
Irgendwie froh gestimmt. Trotz der Ratte, die er kurz zuvor da unten gesehen hatte.
Vier Stunden später in der Küche: er und Mama. Niklas trank Coca-Cola. Sie hatte eine Flasche Wein mitgebracht. Auf dem Tisch: eine Tüte mit Mandelplätzchen, die sie auch gekauft hatte. Sie wusste: Niklas liebte dieses Gebäck, den trockenen süßen Geschmack, wenn das Plätzchen am Gaumen klebte. Männerkekse, fand Mama. Er lachte.
Die Möblierung in der Wohnung war spärlich. In der Küche stand ein abgenutzter Holztisch. Übersät mit runden Brandflecken von zu heißen Töpfen. Vier Klappstühle – extrem unbequem. Niklas hatte ein T-Shirt über die Lehne von Mamas Stuhl gehängt, um sie etwas abzupolstern.
»Jetzt erzähl mal. Was ist eigentlich passiert?«
Es war, als hätte er auf einen Knopf gedrückt. Mama beugte sich über den Tisch vor, als würde er sie dann besser hören können. Es sprudelte nur so aus ihr heraus. Unzusammenhängend und emotional. Verworren und angsterfüllt.
Sie erzählte, wie eine Nachbarin sie geweckt hatte. Die Nachbarin berichtete, dass im Keller etwas passiert sei. Dann tauchte die Polizei auf. Informierte alle.
»Sie brauchen keine Angst zu haben.«
Stellte merkwürdige Fragen. Die Nachbarn standen draußen, auf der Straße. Unterhielten sich mit gedämpften, verängstigten Stimmen. Die Polizei sperrte das Gebiet ab. Um sie herum Sirenen. Bewaffnete Polizisten in Aktion. Sie fotografierten das Treppenhaus, den Keller, die Außenbereiche. Baten alle, sich auszuweisen. Ihre Telefonnummer anzugeben. Später sahen sie dann, wie ein eingehüllter menschlicher Körper auf einer Bahre aus dem Keller nach draußen gerollt wurde.
Zwischen ihren Ausführungen schlürfte sie Wein. Ihr Kopf hing über dem Glas. Ihre schlechte Haltung war auch im Sitzen nicht zu übersehen.
Und heute hatten sie sie dann zur Zeugenbefragung einbestellt. Ihr Fragen gestellt. Ob sie eine Ahnung hätte, wer der Tote sein könnte. Warum ein ermordeter Mann in ihrem Haus läge. Ob sie etwas gehört oder gesehen hätte. Ob einer ihrer Nachbarn sich in der letzten Zeit seltsam benommen hätte.
»War es sehr unangenehm?«
»Ziemlich. Stell dir nur vor. Von der Polizei verhört zu werden, als wäre man in einen Mord verwickelt, oder so. Sie fragten ein ums andere Mal, ob ich wüsste, wer das sein könnte. Woher sollte ich das wissen?«
»Sie wissen also nicht, wer es ist?«
»Ich habe keine Ahnung, aber ich glaub nicht. Sonst
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