Mach sie fertig
Möglichkeit. Rechtsanwalt Burtig hatte ihm neulich erklärt, dass man ihn ohne einen gerichtlichen Beschluss nicht länger als zwei Wochen in Folge festhalten durfte. Heute war Haftprüfungstermin im Landgericht.
Niklas frühstückte zeitig. Er machte Liegestütze und Sit-ups. Als er danach aufstand, fühlte es sich an, als wäre ihm alles Blut aus dem Kopf gewichen. Um zehn Uhr vormittags klopfte Markko, ein ziemlich kräftiger Aufseher, an die Tür. Niklas bat darum, noch seinen Pulli wechseln zu dürfen – er war nicht besonders verschwitzt, wollte sich aber im Gerichtssaal frisch fühlen.
Markko legte ihm Handschellen an. Führte ihn zusammen mit zwei anderen Schließern den Korridor entlang. Sie waren ganz in Ordnung, erledigten nur ihren Job. Niklas betrachtete die Informationstafeln an den Zellentüren. Allergie: Nüsse. Kein Fleisch. Allergie: Fisch. Kein Fleisch. Erinnerte ihn an die dubiosen Gefängnisse der Amis da unten im Sandkasten.
Sie gelangten zu einem kleinen Raum mit einem Metalldetektor. Markko schloss die Handschellen auf. Niklas passierte die Sensoren: Sie reagierten nicht. Die Handschellen wieder dran. Sie nahmen einen Fahrstuhl nach unten. Befanden sich schließlich in einem Teil des Gebäudes, von dem er nicht mal gewusst hatte, dass er existierte.
Markko erklärte ihm: »Wir müssen durch einen Verbindungsgang unter dem Kronobergspark hindurch. Sie nennen ihn auch Seufzergang.«
Die Aufseher schlossen zwei doppelte Stahltüren auf. Der Weg zum Landgericht durch die Unterwelt. Wie ein Bombentunnel, gegraben von Al-Sadrs Mudschaheddin. Ihre Schritte hallten. Die Neonröhren verbreiteten ein kaltes Licht, der Betonboden sah aus wie der Sand da unten nach einem Regen: voller kleiner Löcher. Markko versuchte ein Gespräch anzufangen, so nett wie möglich zu sein. Niklas konnte sich nicht konzentrieren.
Sie kamen zu zwei weiteren Stahltüren. Er wurde ins Erdgeschoss des Landgerichts hereingeführt. Korridore mit Granitboden und verstärkten Holztüren. Ein kleiner Haftraum. Ein Holztisch. Zwei Stühle. Auf der anderen Seite des Tisches: Rechtsanwalt Burtig, der ihn bereits erwartete.
»Hallo Niklas, wie geht es Ihnen?«
»Ganz okay. Ich konnte gestern zumindest einen Schneeball formen.«
»Lag im Pausenhof tatsächlich Schnee?«
»Ziemlich viel sogar.«
»Tja, das hängt wohl mit dem Klimawandel zusammen; es schneit wie nie zuvor. Sind Sie auf das, was heute auf Sie zukommen wird, vorbereitet?«
»Ich nehme an, dass es dasselbe ist wie beim letzten Mal.«
»Im Prinzip ja. Es sind allerdings gewisse neue Fakten aufgetaucht. Man hat ja Ihren Computer durchforstet.«
»Und was haben sie gefunden?«
»Hier, sehen Sie selbst.« Burtig schob ihm einen Stoß Papiere über den Tisch. Niklas blätterte darin. Stellte bereits auf der vierten Seite fest, dass sie seine Überwachungsfilme beschlagnahmt hatten.
Er brachte es eigentlich nicht über sich weiterzulesen. Die Sache war sowieso gelaufen; jetzt waren andere Fragen wichtiger. Er konnte nicht warten, bis er verurteilt wurde.
»Sind wir im selben Saal wie letztes Mal?« Seine Frage wirkte möglicherweise etwas deplatziert.
Burtig verzog keine Miene. »Nein, wir sind in Saal Nummer sechs.«
»Und wo liegt der?«
»Was meinen Sie?«
»Äh, ich wollt’s nur wissen. Bin ein wenig nervös. Liegt er im selben Stockwerk wie der andere?«
»Letztes Mal waren wir, glaube ich, in Nummer vier. Ja, es ist dasselbe Stockwerk.«
Niklas nickte. Blätterte weiter im Haftgutachten. Die Bullen hatten nicht nur die Ordner mit den Filmen entdeckt, die er gespeichert hatte. Sie hatten auch die anderen Dateien mit den schriftlichen Aufzeichnungen, die Listen mit den Tagesabläufen, Fotos von den Frauenschändern, Informationen zu seinem Abhörmaterial. Sie hatten nahezu alles.
Er stellte Burtig noch ein paar weitere Fragen. Aber: Mit den Gedanken war er ganz woanders.
Kurz darauf wurde die Verhandlungssache aufgerufen. Burtig stand auf. Die Aufseher kamen rein. Legten ihm Handschellen an. Führten ihn einen Korridor entlang.
Sie betraten den Gerichtssaal.
Er war groß: hohe Fenster mit langen Gardinen, der Platz des Staatsanwalts, seine eigene Bank und die des Rechtsanwalts, der Platz des Zeugen, ein Podest, die Schranke. Da oben saßen der Richter sowie ein magerer, dunkelhaariger Typ, der Protokoll führen würde: der Referendar. Der Richter: derselbe Typ wie bei der letzten Verhandlung, irgendwo in den Sechzigern.
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