Mach sie fertig
Klassenkameraden für ihn kopiert hatte, lag auf dem Boden vor dem Videogerät.
Aber es war nicht die Ungerechtigkeit, die wehtat, weil er den Film nicht zu Ende hatte gucken dürfen. Es war die lautstarke Stimme von Claes. Niklas wusste, was sie zu bedeuten hatte.
Manchmal, wenn er betrunken war, war er nett. Aber meistens war er eher fies.
Es war erst acht Uhr.
Er ging wieder in sein Zimmer. Versuchte, sich auf Spiderman zu konzentrieren. Es ging um einen heftigen Kampf mit Juggernaut. Spiderman spannte sein Netz über die gesamte Straße und hoffte darauf, dass es den riesigen Muskelprotz aufhalten würde.
Er hörte Claes’ Lachen und Mamas Kichern trotz seiner Lektüre.
Juggernaut ignorierte Spidermans Netz. Er stampfte mit schweren Schritten, die Abdrücke im New Yorker Asphalt hinterließen, voran. Das Netz spannte sich immer stärker.
Plötzlich wurde die Tür zu seinem Zimmer geöffnet.
Niklas schaute nicht auf. Versuchte, sich unbeeindruckt zu geben.
Las noch ein paar Zeilen weiter: Spidermans Netz riss nicht. Die Häuser erbebten.
Es war Claes.
»Niklas, könntest du vielleicht für eine Weile in den Keller gehen? Du kannst ja ein bisschen Hockey spielen, oder so. Ich und deine Mama brauchen ein wenig Zeit für uns.«
Es war keine Frage, auch wenn es so klang. Das wusste Niklas.
Dennoch las er weiter. Juggernaut marschierte weiter. Das Netz hielt. Aber der Beton der Häuser, an dem Spiderman es befestigt hatte, hielt nicht.
»Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Kannst du für eine Weile runtergehen?«
Er hasste diese Situationen. Fragte sich, was sie taten, wenn er in den Keller ging. Claes befahl es ihm von Zeit zu Zeit. Das Schlimmste aber war, dass Mama immer auf der Seite dieses Kerls stand. Weil sie heute jedoch fröhlich wirkte, lies Niklas sich auf den Vorschlag ein.
Er stand auf. Rollte das Comic-Heft in der Hand zusammen, nahm die Kellerschlüssel in die andere Hand und verließ die Wohnung. Das Treppenhaus war dunkel, so dass er Licht machen musste.
Er drückte auf den Fahrstuhlknopf.
Es dauerte meistens nicht länger als eine halbe Stunde. Dann würde Mama runterkommen und ihn holen.
14
Vergangene Nacht: Niklas in einem Tunnel. Lichtpunkte an der Decke. Keuchende Geräusche, die hallten. Er drehte sich um. Nicht er wurde gejagt. Sondern er war es, der jagte. Das Tanto in einer Hand. Der Tunnel wurde heller. Wer war die Person vor ihm? Ein Mann. Vielleicht ein bärtiger Krieger von da unten. Vielleicht auch der Schwarzmakler. Dann sah er ihn: Claes drehte den Kopf. Riss die Augen auf. Speichel in den Mundwinkeln. Niklas machte große Schritte. Die Mizunoschuhe saßen perfekt. Der Typ starrte ihn an. Weißes Licht strömte in den Tunnel. Man konnte nichts mehr sehen.
Taxi Driver
zum zweiten Mal am selben Tag. Zwei Stunden lang Kata mit Messern. Niklas mit bloßem Oberkörper. Wie Travis. Der Schweiß trocknete ein. Die Konzentration auf die Kata war anstrengend. Er ging in die Küche und trank einige Schlucke Wasser. Ein Luxus: direkt aus dem Hahn trinken zu können. Im Irak kam höchstens Abwasser aus den Hähnen, wenn überhaupt etwas kam.
Er fühlte sich entsetzlich müde. Die Albträume zehrten an ihm.
Er setzte sich. Schaute sich um. Erschöpft.
Seine Mutter war wieder zu sich nach Hause gezogen. Das verstärkte seine Einsamkeit noch.
Acht Jahre unter Kameraden. Und jetzt: sechs Wochen Einsamkeit. Richteten ihn fast zugrunde. Er brauchte einen Job. Brauchte etwas zu tun. Eine Zielsetzung im Leben. Möglichst bald. Und dann war da noch diese andere Sache: Mamas Argwohn. Sie hatte ihm gegenüber behauptet, sie sei ganz sicher, dass der Tote Claes war. Niklas musste wieder an seinen Albtraum denken.
Draußen regnete es. Was war das eigentlich für ein Sommer? Thank God for the rain to wash the trash off the sidewalk.
Er aß Chips aus einer Tüte. Sah Claes’ Gesicht vor sich. Zerkleinerte die geraffelten, frittierten Kartoffelscheiben zwischen den Schneidezähnen. Es knackte. Claes war jetzt weg. Die Geschichte hatte ein glückliches Ende genommen. Niklas empfand Erleichterung.
Er schaltete die DVD erneut ein. Spulte vor bis zu einer seiner Lieblingsszenen. Travis versuchte einen Job als Taxifahrer zu bekommen. Der Einstellungsfritze fragte: »How’s your driving record? Clean?« Travis’ lupenreine Antwort: »It’s clean, real clean. Like my conscience.«
Niklas stimmte ihm zu. Was er auch getan hatte. Sein Gewissen war rein. Da draußen herrschte
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