Mach sie fertig
Krieg. Frei erfundene Definitionen von Moral krachten unter extremen Verhältnissen genauso leicht zusammen wie irakische Betonhäuser während eines Granatenangriffs. Übrig blieben nur die Betonstahlverstrebungen, die wie traurige Skelettteile aus den Ruinen ragten.
Er schaltete den Film aus. Holte seine hochwertigen Messer, legte sie auf den Nachttisch. Spiegelte sich in einer Klinge. Die Definition von Schönheit. So ästhetisch. So rein.
Während eines Krieges Messer anzuwenden, war ungewöhnlich. Aber eigentlich war dies die ultimative Art zu kämpfen. Mann gegen Mann. Keine infrarotgesteuerten Hightechwaffen mit Nachtsichtfunktion. Du allein gegen deinen Gegner. Nur du und der kalte Stahl.
Niklas lehnte sich auf dem Sofa zurück. Claes war tot. Die Welt war einen kleinen Tick besser geworden. Mama eine Million Mal freier.
Er schaltete den Film wieder ein.
»It’s clean, real clean. Like my conscience.«
Niklas überlegte, ob er sie anrufen sollte, fragen, wie es ihr ging. Schaffte es im Augenblick jedoch nicht.
Irgendwas irritierte ihn. Lautstarke Geräusche. Wieder aus der Nachbarwohnung. Er stellte den Ton leiser. Stand auf. Horchte. Dasselbe Arabisch wie beim letzten Mal, als er Schreie gehört hatte. Er schaltete den Fernseher ganz aus. Hielt das Ohr an die Wand. Hielt den Atem an. Hörte alles.
Eine Männerstimme: »Du musst doch kapieren, dass du mich kränkst.«
Die Frau, Niklas’ Nachbarin Jamila: »Aber ich hab dir doch überhaupt nichts getan.«
»Du weißt genau, was du getan hast. Du hast mich gekränkt. Begreifst du das denn nicht? So funktioniert das nicht, ich kann mein Leben so nicht leben.«
Sie diskutierten weiter. Schrien sich an. Ununterbrochen. Gaben nicht auf. Diesmal schien es allerdings nicht in Gewalt auszuarten.
Niklas setzte sich wieder aufs Sofa, schaltete den Fernseher aber nicht wieder ein. Hörte noch einzelne Wortfetzen der Auseinandersetzung.
Fingerte wieder an seinem Supermesser herum. Nahm die Scheide zur Hand. Schob es langsam hinein.
Die Geräusche auf der anderen Seite der Wand ließen nicht nach.
Eine Viertelstunde verging.
Er schaltete den Streifen wieder ein. Hörte kaum, was gesagt wurde. Travis lernte Iris kennen, Jodie Foster: Sie tranken zusammen Kaffee.
Eine halbe Stunde verging.
Der Lärm in der Nachbarwohnung wurde lauter. Niklas stellte den Ton des Fernsehers lauter.
Iris zu ihrem Zuhälter: »I don’t like what I’m doing, Sport.«
Der Zuhälter schiss drauf. »Ah, baby, I don’t want you to like what you’re doing. If you like what you’re doing, then you won’t be my woman.«
Niklas starrte auf den Bildschirm. Versuchte, den Lärm der Nachbarn auszublenden. Aber man hörte ihn über den Film hinweg.
Er stellte noch lauter. Iris schrie. Travis schrie. Der Zuhälter schrie am lautesten. Die Lautstärke jetzt unerträglich. Aber sie übertönte das Gekeife in der Nachbarwohnung. Niklas versuchte, sich zu konzentrieren. Die Gedanken rasten nur so durch seinen Kopf: Claes ermordet, seine Mutter unglücklich. Die Nachbarn aus Niklas’ Kindheit hatten damals wahrscheinlich auch den Ton ihrer Fernsehapparate lauter stellen müssen. Hatten versucht, Mamas Schreien zu übertönen. Sein Geschrei. Claes’.
Aber irgendwie hörte man sie immer noch. Er wusste, dass da drüben auf der anderen Seite der Wand nicht alles mit rechten Dingen zuging.
Der Film näherte sich dem Ende. Dem Crescendo. Der Stunde der Wahrheit. Dem Sieg der Gerechtigkeit. Travis nimmt die Sache selbst in die Hand. Er trifft den Zuhälter auf der Straße. »Don’t I know you? You know Iris?« Und der Zuhälter lügt ihm geradewegs ins Gesicht. »I don’t know Iris.«
Es funktionierte einfach nicht. Die Lautstärke. Die Nachbarn. Claes. Travis.
Jetzt hörte er ein Poltern gegen die Wand. Er musste den Fernseher ausschalten. Konnte das, was da drinnen geschah, nicht einfach geschehen lassen.
Die Frau auf der anderen Seite der Wand weinte. Schrie. Niklas wusste, was passiert war. Alle wussten es. Aber keiner unternahm etwas.
Er spannte das Cold Steel-Messer hinten unter der Jeans fest. Ging raus ins Treppenhaus.
Horchte. Da drinnen ging es immer so weiter. Das Gebrüll des Mannes. Das Wimmern der Frau.
Er klingelte.
Stille.
Er klingelte noch einmal.
Sie wechselten ein paar Worte miteinander, allerdings zu leise für Niklas, um etwas verstehen zu können.
Hinter dem Spion in der Tür wurde es dunkel, jemand beobachtete ihn.
Die Tür wurde geöffnet.
Ein
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