Mach sie fertig
Weile still da. Vergegenwärtigte sich die angstbesetzten Gedanken, einen nach dem anderen.
Der Mann, der vor dem Fenster gestanden hatte, Ljunggrens merkwürdiges Verhalten, das Risiko einer Entlassung. Der Rechtsmediziner, der darauf pochte, dass sein hirnrissiger Bericht korrekt war. Alles Bullshit.
Er dachte an die Mordermittlungen. Die wenigen Handynummern, die von dem Kartenhandy aus angerufen worden waren, führten ins Leere. Thomas’ Gespräch mit dem Rechtsmediziner hatte nichts ergeben. Aber es hatte dennoch eine Reaktion hervorgerufen – den Mann vor seinem Haus. Hägerström schien immer noch der Überzeugung zu sein, dass sie einen Anhaltspunkt für ihr weiteres Vorgehen hatten, aber Thomas kapierte nicht, welchen. Vielleicht würden die noch anstehenden Analysen des SKL etwas ergeben – Stofffasern, Haare, Hautzellen –, auch wenn die Chance gering war. Aber die Handynummer musste sie doch weiterbringen. Säufer und Fixer besaßen ausschließlich Kartenhandys. Was das Kartenhandy auf der Straße war, waren die Pincodes an den Haustüren. Wenn man auf Nummer Sicher gehen wollte, legte man sich niemals einen festen Telefonanschluss zu.
Plötzlich fiel ihm etwas ein. Verrückt, dass Hägerström und er nicht vorher darauf gekommen waren. Die Gesetze der Straße: Wechsle deine SIM -Karte so oft wie möglich, und tausch dein Telefon aus, so häufig du kannst. Letzteres: Warum sollte man das Telefon austauschen, wenn man eine SIM -Karte besaß? Die Antwort drängte sich förmlich auf – weil alle wussten, dass die Seriennummer des Handys sogar über die SIM -Karte zurückverfolgt werden kann. Im Klartext: Die individuelle sogenannte IMEI -Nummer ist in jedem Handyvertrag registriert. Die IMEI -Nummer wird bei jedem Gespräch, das man führt, an den Teilnehmer mitgeschickt, den man anruft. Er wusste nicht, wofür die Abkürzung stand, aber eins war klar – die Jagd war noch nicht zu Ende.
Er rollte sich wieder unter dem Wagen hervor. Stand auf. Nahm die Stirnlampe ab. Streckte sich. Es fühlte sich an, als wäre er nach einem gesamten, verfaulenzten Vormittag gerade erst aus der Kiste gekrochen. Eine neue Chance. Ein neuer Tag.
Der Gedanke fühlte sich kristallklar an. Das Leben verdichtet sich zu einer gewissen Anzahl von Augenblicken, und das hier war einer von ihnen. Eine Weggabelung. Er hatte die Wahl. Entweder setzte er sich auf die Ersatzbank und ließ zu, dass ein paar Klugscheißer von der Kripo ihn fertigmachten. Dass das Pack die Oberhand gewann. Oder er und Hägerström lösten das hier, auch wenn er damit riskierte, seinen Job zu verlieren; selbst wenn Hägerström ein Verräter war. Er würde es nicht zulassen, dass sie ihm an den Kragen gingen.
Er rief Åsa noch einmal an und fragte, wann sie nach Hause kommen würde. Traute sich nicht, Hägerström vom Festnetzanschluss oder seinem Handy aus anzurufen. Sie würde in einer Stunde zu Hause sein. Er erwog, nach Kronoberg reinzufahren, um persönlich mit ihm reden zu können. Doch das war keine gute Idee – der- oder diejenigen, die ihn bespitzelten, mussten nicht unbedingt sofort von seinen Gedanken erfahren.
Thomas war zu aufgeregt, um sich noch mal unter den Wagen zu rollen. Er setzte sich in einen Sessel im Wohnzimmer und wartete. Von draußen drang Vogelgezwitscher herein. Es war halb drei. Der Sommer hielt mit Macht Einzug. Im Wohnviertel war es bis auf das ein oder andere Auto, das Lebensmitteltüten und Kinder von Fußballplätzen nach Hause beförderte, still.
Er stellte die Stereoanlage an. The Boss in Hochform.
In Thomas’ Kopf war der Schritt getan. Möglicherweise würde er den Job verlieren. Vielleicht würde noch Schlimmeres passieren. Aber das hier war einer dieser Augenblicke. In denen das Leben eine neue Richtung einschlägt.
22
Mahmud und Wisam Jibril saßen gemeinsam mit Beshar in der Küche. Unfassbar. Unglaublich. Völlig unwirklich. Papa hatte Kaffee gekocht, wollte wissen, was Wisam inzwischen arbeitete. Der Kumpel antwortete ausweichend: »Ich mach was mit Risikokapital, investiere in unterschiedliche Unternehmen. Ich kauf alle oder ein Teil der Aktien und versuch, sie ein wenig umzuschichten.«
Mahmud lächelte. Sein Vater kapierte Wisams vorgeschobenes Business bestimmt genauso wenig wie er schwedische Comedys im Fernsehen kapierte – aber er liebte Nachbarjungen, die mit ehrlichen Mitteln erfolgreich wurden. Schade, dass es eine Lüge war.
Papa plapperte drauflos. Kramte alte Erinnerungen
Weitere Kostenlose Bücher