Machen Sie sich frei Herr Doktor!
bekleidet, dichtete vor sich hin:
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DIE WAHRHEIT ÜBER ROSALINDE
Erstes Kapitel
Als ich an diesem Morgen Ende September aufwachte, erinnerte mich die Kühle daran, daß Menschen sogar des Sommers müde werden können, sich jedoch täuschen lassen, die kurzen Tage des Winters stünden schon vor der Tür. Die Sonne war eine Kupferschüssel in einem trüben Himmel, während über dem Tahl die Brautschleier des Nebels verzerrt und reglos hingen.
Er hielt inne. So weit, so gut. Er saß da, kratzte sich am Ohr und starrte durch das Fenster auf den sonnendurchfluteten Hintergarten voll bunter Blumen. Langsam schüttelte er den Kopf. Diesen Absatz hatte er eben zum siebenundzwanzigsten Mal geschrieben; manchmal war der Nebel wie ein Kranz, manchmal war die Sonne ein glänzendes Medaillon, hin und wieder war es Oktober und gelegentlich ein Abend in den Tropen. So wie er war, schien der Absatz in Ordnung; ein Jammer nur, daß er nicht wußte, wie es weitergehen sollte. Auberons Blick wanderte zu der schwarzen Arzttasche des Deans. Wie angenehm, einen sicheren, lukrativen, schöpferisch, anspruchslosen Beruf zu haben wie die Medizin, dachte er. Seine geübte Phantasie zauberte ihm sofort das entsprechende Bild vor die Augen: Er sah sich in leuchtendweißer Operationskleidung, mit einem weißdrapierten Körper beschäftigt, im Licht der starken Lampen blitzte sein Skalpell, während eine Reihe reizender Krankenschwestern das Publikum bildeten. Pinzette... Tupfer... Skalpell... jetzt das Transplantat... Vorsicht, Schwester... nicht die Nerven verlieren... da, paßt wie ein Handschuh... und der Spender war mein eigener Sohn...
Das Licht wechselte. Ein Fernsehstudio. Mit Charme, aber auch mit Autorität teilte er der hübschen Reporterin seine Ansichten über Transplantationen mit, über Chirurgie, Sex und manches andere. Das Honorar würde natürlich horrend sein. »Das war alles überaus interessant, Herr Professor. Hätten Sie vielleicht Zeit, die Diskussion beim Abendessen fortzusetzen...? Aber natürlich... Wäre Ihnen meine Wohnung recht? Dort ist es viel ruhiger...«
Auberon seufzte. Wie schade, daß ihm bereits beim Geruch eines Desinfektionsmittels übel wurde.
Plötzlich merkte er, daß er in dem kleinen Raum nicht allein war.
Er drehte seinen Stuhl um. Die Tür war offen. Durch den Spalt beobachtete ihn jemand angelegentlich. »Faith? Willst du etwas?«
Durch den Spalt blickte ihn ein Auge an. »Entschuldige, Onkel Auberon, aber ich habe noch nie einen echten Autor bei der Arbeit gesehen.«
Er lächelte nachsichtig, genau so wie der Transplantationsforscher die Reporterin angelächelt hatte. »Komm näher, wenn du Lust hast.«
Faith schloß die Tür hinter sich. »Ich stelle es mir so herrlich vor, Schriftsteller zu sein und so vielen Millionen Freude zu bereiten«, sagte sie atemlos.
»Das stimmt leider nicht. Es ist genau so, wie Oscar Wilde den Landbesitz beschreibt. Man hat zwar eine Position, aber man kann sie nicht aufrechterhalten.«
Sie sah ihn verwundert an. »Aber Vater sagt immer, du seist schrecklich reich.«
»Zugegeben, ich habe einen gewissen Lebensstil. Um Somerset Maugham zu zitieren, es ist für einen Künstler unnatürlich, in einem kleinen Reihenhaus zu wohnen und Apfelkuchen zu essen, den die Putzfrau gebacken hat. Samantha schwimmt in Geld. Ich nicht. Weißt du, daß sogar Leute, die mir begeisterte Briefe schreiben, meine Bücher aus der Leihbibliothek beziehen? Das ist so, als würde man den Oberkellner für Essen und Bedienung loben und ginge dann fort, ohne ein Trinkgeld zu geben«, sagte er bitter. »Armer Onkel Auberon.« Faith schmolz dahin vor Mitleid.
Sie ist ein großes Mädchen geworden, überlegte er. Jemand schien irgendwo ein Düsenventil angebracht und sie aufgeblasen zu haben. »Als ich dich das letztemal sah, Faith, trugst du einen Strohhut und einen Sack aus kariertem Stoff. Du warst so sexlos wie ein Kandelaber.«
»Miss Cliworth hat uns in Horndean Hall sehr gründlichen Unterricht in guter Haltung erteilt, Onkel. Übrigens, als ich gestern früh mit dem Bücherwagen der Spitalsbibliothek durch die Abteilungen ging, verlangte ein Patient dein Buch >Die elektrische Kapuzinerkressen«
»Ausgezeichneter Geschmack.« Auberon war sofort heiterer.
»Leider starb er am Nachmittag.«
»Wie schade, der Schluß ist das Beste.«
»Ich habe alle deine Romane in meinem Zimmer — zusammen mit der Bibel und einem Schallplattenkatalog.«
»Mein ganzes
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