Machen Sie sich frei Herr Doktor!
demonstrierte eben die Mutterfixation während meiner Kindheit.«
»Aha.«
»Mr. Dougal wohnt beim Dean, Hamish.«
»Aha.«
Die Konversation verebbte.
Der Ehemann schob eine Pantoffelblume beiseite und stellte sich mit gespreizten Beinen, die Hände am Rücken verschränkt, vor den Kamin, wo ein üppiges fleißiges Lieschen blühte. »Und wie geht es dem ekelhaften Wichtigtuer?«
»Meinen Sie mich?« fragte Auberon mit schwacher Stimme.
»Den Dean. Wäre ich nur im entferntesten für dieses Gebäude verantwortlich, das jetzt nicht nur die Aussicht auf unseren Garten, sondern auch auf halb London zerstört, so würde ich einen anderen Unterentwickelten, der an einem unheilbaren Hang zum Vandalismus leidet, auffordern, die Eröffnungsfeierlichkeiten vorzunehmen. Aber es geht mich nichts an. Gott sei Dank bin ich kein Mitglied von St. Swithin. Ich arbeite an der Soho-Klinik.«
»Sind Sie auch Psychiater?« Auberon rutschte, soweit es das Korbmöbel erlaubte, von seiner Begleiterin weg.
»Nein.« Der Mann starrte ihn wild an. »Maggie ist Psychiater. Sie arbeitet an der Soho-Klinik und in St. Swithin. Dort sind wir ein Team, nicht wahr, meine Liebe? Ich bin Chirurg. Sex-Chirurg.« Er zog seine rechte Hand hinter dem Rücken hervor und bewegte nervös die Finger. »Ich operiere Drüsen und Gehirne. Ich verändere den Charakter der Menschen.«
»Das muß überaus interessant sein«, meinte Auberon und blickte ihn ängstlich an.
»Ja, das ist es. In diesen meinen Händen liegt die Macht, nicht nur die Gedanken der Menschen zu beeinflussen, sondern auch ihre Art zu denken — viel entscheidender, viel andauernder als alle großen Philosophen und Redner der Geschichte.«
»Höchst interessant.«
»Maggie und ich arbeiten augenblicklich sehr er-
folgreich mit sexuellen Triebverbrechern. Nicht wahr, meine Liebe? Männer, die unter übermäßigem Sexualtrieb leiden. Männer, die fortwährend mit der Polizei in Konflikt geraten, weil sie Frauen belästigen. Sie kennen doch sicher die bekannte Geschichte, Mr. Dougal? Der scheinbar ehrenwerte Mann, der sich in Abwesenheit des Gatten ins Haus schleicht und dann versucht, die unselige Hausfrau in ihrem eigenen Wohnzimmer auf dem Sofa zu vergewaltigen.«
»Ich erinnere mich, darüber in den Zeitungen gelesen zu haben«, hauchte Auberon schwach.
Hamish M’Turks Augen blitzten noch zorniger. »Bestimmt haben Sie davon gehört. Diese Männer... diese Ungeheuer... denken sie auch nur einen Augenblick an die arme leidende Frau? Oder an den armen leidenden Gatten? Ja? Würden Sie gern ein Leben lang mit der Erinnerung leben, daß Ihre geliebte Frau von irgendeinem Wüstling vergewaltigt wurde?«
»Das habe ich mir eigentlich noch nie so recht überlegt. Aber ich stelle mir vor, daß es eher unangenehm wäre.«
Wieder Schweigen. Der Chirurg beugte sich vor. »Der Sexualverbrecher, den ich behandle, vergewaltigt nur einmal«, fuhr er ruhig fort. »Ein kleiner Schnitt mit dem Messer... und er ist so friedlich wie ein kastrierter Stier. Sogar noch friedlicher. Gedanken an Sex kommen ihm nie mehr. Nie mehr! Darüber sollten Sie eines Tages schreiben, Mr. Dougal.«
»Ja, tatsächlich.«
Hamish M’Turk richtete sich auf. »Ich glaube, der Dean wartet mit dem Abendessen auf Sie. Er ist von fanatischer Pünktlichkeit. Meine Frau liest Ihre Bücher, Mr. Dougal. Es tut mir leid, daß ich dazu nicht imstande bin. Obwohl ich Ihnen versichere, daß ich es versuchte. Wirklich versuchte. Maggie, begleite unseren Besuch hinaus.«
Während sie die Tür des Wohnzimmers öffnete, flüsterte Dr. Maggie M’Turk im Schutz eines blühenden Rosmarinstrauches: »In meiner Abteilung in St. Swithin. Montag nachmittag, halb drei.«
Auberon nickte. »Treffen wir uns auf der Couch.«
10
Es war ein schwarzer Sonntag für den Dean.
Sein dunkler Anzug und der steife Kragen kamen ihm außerhalb der Arbeitswoche unbequem vor. Doch die Kapelle war eine Überraschung. Die Liga der Freunde von St. Swithin hatte jede Ecke mit Blumen geschmückt. Die starke Sonne brachte das reiche Purpur, Scharlachrot und Blau der Heiligen auf den Fenstern zum Leuchten. Und die Kapelle war voll. Das wunderte ihn. Er erkannte einige Studenten der Christlichen Union - bedrückend ernsthafte junge Männer, dachte er oft, obwohl sie, was Haarschnitt, Enthaltsamkeit und unerschütterlichen Respekt vor dem Dean betraf, ein beachtenswertes Vorbild für die anderen Studenten abgaben. Die übrigen Besucher waren Frauen,
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