Machen Sie sich frei Herr Doktor!
Lionel würde mich vorstellen.« Der Kaplan zögerte. »Meine alte Mutter wäre unbeschreiblich stolz.«
»Minzsauce?« fragte der Dean.
»Gern. Als ich gestern abend Ihren Sultan besuchte, Sir Lionel, bat er mich, Sie zu erinnern, daß er vorgestellt werden möchte. Es geht ihm da oben ausgezeichnet, finde ich. Obwohl ich sehr gegen eine bevorzugte Behandlung bin, nur weil jemand es sich leisten kann. Ist das nicht amoralisch? Lebenswichtige Medikamente sollten wie Trinkwasser und Kanalisation sein; alle sollen gleichermaßen daran teilhaben.«
»Die englische Heilkunde ist einer unserer blühendsten unsichtbaren Exportzweige.« Der Dean nahm mit der Tranchiergabel den Kaplan aufs Korn. »Aus dem Persischen Golf flutet eine nicht enden wollende Prozession von Millionären zu uns, und sie alle lassen verschiedene Organe bei uns zurück. Ich wollte, die Regierung würde diese Tatsache zur Kenntnis nehmen und die Spezialisten entsprechend honorieren.«
»Sicher werde ich diese Dinge feststellen, sobald ich mich hier zurechtgefunden habe«, sagte der Kaplan aufgeräumt. »Ich hoffe, Sie kommen morgen um zehn Uhr in die Wartehalle der ambulanten Patienten, Sir Lionel?«
»Bestimmt nicht. Um diese Zeit mache ich meine Visiten. Warum, bitte, sollte ich kommen?«
»Es ist das Eröffnungstreffen des EDP.«
Der Dean runzelte die Stirn und nahm seinen Platz am Tisch ein. »Und was zum Teufel ist das? Klingt nach einer chirurgischen Abkürzung.«
»Einigkeitsgesellschaft der Patienten. Ich organisiere die Patientenschaft des Krankenhauses.« Der Dean zuckte zusammen. »Ich finde, daß auch kranke Menschen das grundlegende demokratische Recht zu einem organisierten friedlichen Protest haben sollten, nicht wahr?«
Der Dean starrte ihn erbittert an. »Sie meinen im Grunde, daß heutzutage jedermann das Recht hat, jedes Gesetz zu brechen, das ihm unbequem erscheint, und bei Anlässen, die so geringfügig sind, daß ich bestenfalls einen freundlich gehaltenen Brief an die Times schreiben würde, einen Polizisten mit Steinen zu bewerfen. So ist es doch, nicht wahr? Ich weiß, daß Sie es ehrlich meinen, Mr. Becket. Aber leider sind Sie furchtbar naiv. Eine sehr einfache Überlegung haben Sie nämlich nicht angestellt - daß, wenn wir alle heute die uns zustehenden Rechte ausübten, morgen unsere gesamte Zivilisation zusammenbrechen würde.«
Der Kaplan sah plötzlich niedergeschlagen aus.
»Es tut mir leid, Sir Lionel. Ich wollte niemandem Ärger bereiten. Ich dachte, ich bekäme von Ihnen ein wenig Unterstützung, das ist alles.« Seine Stimme klang demütig.
»Ich dachte dasselbe von Ihnen«, sagte der Dean streng.
Schweigen. Josephine sah verlegen drein. »Es gibt noch einen Butterpudding«, verkündete sie.
»Ich will nur das Beste«, fuhr der Kaplan betrübt fort. »Ich weiß, daß ich oft ins Fettnäpfchen trete. Ich weiß, daß ich voreilig bin. Ich kann nichts dagegen tun. Wissen Sie, ich wollte niemals Seelsorger in einem Krankenhaus werden.« Unter dem gestrengen Blick des Dean schien er in sich zusammenzufallen. »Doch der Bischof schickte mich, weil Mrs. Dougal ihn so sehr drängte. Ich wollte eigentlich Geistlicher in einem Gefängnis werden. Dort ist es für einen simplen Burschen wie mich viel einfacher, sich mit der Gesellschaft zurechtzufinden.«
»Er wird die Stellung aufgeben müssen«, sagte der Dean, als der Kaplan kurz darauf das Haus verließ. »So einen Kerl können wir in St. Swithin nicht brauchen.« - »Lionel, du bist grausam«, sagte Josephine. »Er ist ein wenig unerfahren, das ist alles.«
»Mir ist Unerfahrenheit in jeder Abteilung des Spitals zuwider. Und so wie er sich anläßt, werden wir bald niemandem mehr eine Injektion verpassen können, ohne damit eine Demonstration auszulösen. Für ihn ist es sehr einfach, über Barmherzigkeit und Mitgefühl zu schwatzen, aber das einzige, wofür uns die Leute dankbar sind, ist, daß wir sie gesund machen, nicht, daß wir ihnen sagen, wie leid sie uns tun.«
»Jedenfalls kannst du ihn gar nicht loswerden. Er gehört nicht zu deinen unliebsamen Studenten.«
»Kann ich das nicht?« Der Dean überließ sich ein Weilchen seinen Gedanken. »Sir Lancelot versuchte unseren letzten Kaplan loszuwerden. Er wehrte sich gegen Nosworthys Behauptung, daß dieser berechtigt sei, die Toilette der Ärzte zu benutzen.«
»Nun, er hatte aber keinen Erfolg, nicht wahr?«
»Ich weiß nicht... Lancelot wußte irgend etwas über Nosworthy. Etwas, das wir alle
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