Machen Sie sich frei Herr Doktor!
wurden.
Sir Lancelot fand, daß er sich außerordentlich wohl fühlte.
Die bequeme, unveränderliche Routine des Lebens auf einer Kreuzfahrt - vermutlich unverändert seit den dreißiger Jahren, als Kreuzfahrten in Mode kamen - war nach dem Streß von St. Swithin erstaunlich beruhigend. Zugegeben, es gab eine Pop-Gruppe an Bord, doch sie war nur eine leere Geste der Schiffahrtsgesellschaft und kam nicht auf gegen Bingo, altmodische Tanzweisen und das Einschlafen im Liegestuhl. Viele Passagiere waren in seinem Alter und manche ein gutes Stück älter; das Schiff war ein Spielplatz für alte Leute, dachte er, mit der zusätzlichen Attraktion von Drinks zu zollfreien Preisen.
»Lancelot, da sind Sie ja. Ich suchte Sie im Rauchzimmer.«
DulcieYarborough gesellte sich zu ihm. Sie hatte ein Zobelcape um die Schultern geschlungen.
»Ich suchte ein wenig Stille, um nachzudenken. Und das ist das einzige, was auf diesem Schiff schwer zu finden ist.«
Sie lehnte sich neben ihn an die Reling. »Es ist kühl, finden Sie nicht auch?« Sie zitterte ein wenig.
»Ich fand es heute abend besonders schwül.« Unter seinen buschigen Brauen warf er ihr einen prüfenden Blick zu. »Ich hoffe, Sie fühlen sich nach diesem einen Tag im Bett etwas besser?«
»Ja. Dr. Runchleigh half mir sehr.« Sie hielt inne und zuckte zusammen. »O doch, es geht mir gut. Ganz ausgezeichnet.«
Sir Lancelot nippte an seinem Whisky. Er wußte, daß er sich in eine höchst schwierige Situation gebracht hatte. Die größte Entspannung, die ihm das Leben an Bord bot, war, zum erstenmal seit langer Zeit ein Mensch wie jeder andere zu sein. Niemand konnte ihn in eine Ecke ziehen und seinen Rat wegen einer rheumatischen Hüfte einholen, wegen der Frigidität der Ehegattin, wegen Appetitlosigkeit oder wegen eines Gallenleidens. Ein Mediziner ist wie ein Brunnen, in den jeder seine Symptome wirft und auf sofortige Hilfe hofft. Allerdings hatte es auch Nachteile, ein Schweinezüchter zu sein. Es gab ihm keine Möglichkeit, seine ernste ärztliche Besorgnis über den Gesundheitszustand jener Dame zu erleichtern, die sich eben neben ihm über die Reling beugte.
Gedankenverloren strich er sich über den Bart, während sie den fernen Klängen der Musik lauschten. Er könnte Dulcie ja einfach sagen, daß er Chirurg sei und ihre Behandlung übernehmen. Aber leider war sie bereits Dr. Runchleighs Patientin. Würde er sich einmischen, wäre das eine eklatante Verletzung der Berufsethik. Und soweit er diesen schrecklichen Schiffsarzt beurteilen konnte, würde der Kerl ihn am Tag der Ankunft bei der Ärztegesellschaft anzeigen, wenn er nicht schon vorher ein Kabel schickte.
»Ich finde, man darf sich von einer Krankheit nicht unterkriegen lassen, Lancelot.«
Er hörte nicht hin. Schließlich, sagte sich Sir Lancelot, kann ich mich auch irren, und der Schiffsarzt hat recht. Es ist nun einmal so, er hat sie untersucht, nicht ich. Ich bin nicht einmal in der Lage, eine Meinung zu äußern. Ich habe meinen Studenten eingebleut, daß eine Diagnose ohne sorgfältige Untersuchung für den Patienten ebenso tödlich sein kann wie für den Ruf des Arztes. »Lancelot, Sie träumen.«
»Pardon. Aber es ist eine so romantische Nacht.«
»Ich sagte eben, daß man sich von einer Krankheit nicht unterkriegen lassen darf. Das lehrte mich mein zweiter Mann. Einmal tanzte er die ganze Nacht mit einem gebrochenen Bein. Wollen wir ein paar Schritte wagen? Das Orchester sollte hin und wieder doch etwas anderes spielen als nur Wiener Walzer.«
Sir Lancelot schwieg einen Augenblick, dann zog er sie eng an sich. »Dulcie, ich liebe dich.«
Sie sah ihn verblüfft an. Dann lächelte sie. »Es ist nur der Mond und das Wasser, nicht wahr?«
»Keineswegs. Natürlich wirkt ein Schiff, in bezug auf Romantik, in einem warmen Klima wie ein Druckkochtopf. Das ist bekannt. Aber ich liebe dich, seit ich dich zum erstenmal in Teneriffa sah. Es war gegen Mittag, und es stank fürchterlich.«
»Nun... das ist zweifellos sehr schmeichelhaft.«
»Es ist nicht nur Schmeichelei, Dulcie. Ich bebe vor Leidenschaft. Durch und durch.«
Sie zog den Zobel enger um ihre Schultern. »Ich muß zugeben, Lancelot, ich hoffte, du würdest so etwas sagen.«
»Ach?«
»Weißt du, ich habe dich sehr, sehr gern. Ich kann und will es nicht leugnen.«
»Das ist zutiefst beglückend.«
»Ich fühlte mich schon immer zu dem Typ des Naturburschen hingezogen.«
»Tatsächlich?« Er sah enttäuscht aus. »Ach ja, die
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