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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
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31. Januar 1515, als Vettori nach Florenz zurückkehrte, schrieb er diesem 25 Mal, 17 Mal erhielt er darauf eine Antwort. Schon das Zahlenverhältnis macht deutlich, wer etwas von wem wollte. Doch über das Gefälle von Einfluss und Rang hinaus entwickelte sich die Korrespondenz zwischen dem Ex-Sekretär, der zur politischen Untätigkeit verdammt war, und dem Botschafter, der politisch kaum etwas zu tun hatte, zu einem Gedankenaustausch über die Kräfte, die die Welt politisch zusammenhielten. Dadurch wurde der Briefwechsel zu einem intellektuellen Kräftemessen, bei dem beide Korrespondenzpartner alles gaben. Machiavelli musste sich und der Welt beweisen, dass er trotz seiner Kaltstellung den Mächtigen etwas zu bieten hatte. Zu diesem Zweck begann er parallel zum schriftlichen Gespräch mit Vettori damit, seine Ideen zu Politik und Geschichte, die er vorher in Gesandtschaftsberichte und Memoranden eingestreut hatte, in Form geschlossener Abhandlungen niederzulegen. Diese schriftstellerische Tätigkeit färbte auf seine Briefe an den Freund in Rom ab. Vettori nahm die Herausforderung an und hielt ihr stand. Dadurch wurden seine kritischen Antworten an Machiavelli für diesen zum Anreiz, seine Vorstellungen näher zu erläutern und nicht selten zuzuspitzen.
    Doch am Anfang der Korrespondenz stand die Notlage Machiavellis:
Wie Ihr von Paolo Vettori gehört haben werdet, bin ich unter dem allgemeinen Entzücken dieser Stadt dem Gefängnis entronnen – was ich eigentlich mit der Hilfe Paolos und Eurer Unterstützung, für die ich Euch danke, zu bewerkstelligen hoffte.[ 60 ]
    Am Anfang dieses bitterbösen Bittbriefs vom 13. März 1513 steht ein bissiges Wortspiel. Machiavelli ist nicht zum Entzücken, sondern durch das Entzücken der Florentiner über die Wahl Leos X. frei gekommen. Darauf folgt eine doppelte Ohrfeige: Die Vettori-Brüder hätten Machiavelli Beistand geschuldet, haben aber versagt – aus Feigheit, wie nicht extra angemerkt werden muss. Daher ist die nachfolgende Bitte von Ironie nur so durchtränkt:
Ihr wisst, wie es unserem Herrn Totto geht. Ich empfehle ihn Ihnen und Paolo in jeder Hinsicht. Er wünscht dasselbe wie ich: zu den Angestellten des Papstes zu gehören, und zwar mit Ernennungsurkunde und Gehalt, worum wir Euch beide bitten.[ 61 ]
    Natürlich konnte Vettori das Wunder, den Brüdern Machiavelli bei Leo X. zu Arbeit und Brot zu verhelfen, nicht bewirken. Das absurde Ersuchen konnte nur einen Zweck haben, nämlich Vettori ein schlechtes Gewissen zu machen. Euch geht es gut, wir sind im Elend. Die zweite, sehr viel vorsichtigere Bitte im selben Brief war dann allerdings ohne Frage ernst gemeint:
Bringt mich, wenn irgend möglich, Ihrer Heiligkeit in Erinnerung, damit er selbst oder die Seinen für mich irgendeine Verwendung finden. Denn ich glaube, Euch Ehre zu machen und mir nützlich zu sein.[ 62 ]
    So schrieb jemand, der mehr vom Staat zu verstehen glaubte als die anderen und diese daher erfolgreiche Politik lehren konnte. Machiavelli konnte nicht anders: In jedem Versuch, nützliche Netzwerke für sich zu mobilisieren, musste er deutlich machen, wie sehr er solche Netzwerke verabscheute. Daher die Bemerkung, dass sich Vettori durch seine Hilfe für Machiavelli mindestens ebenso nützte wie diesem. Die Selbsterniedrigung wurde nur dadurch erträglich, dass ihr die stolze Selbstbehauptung auf dem Fuße folgte.
    Vettoris Antwort vom 15. März spiegelt nicht nur wider, wie dieser seine eigene Stellung zu den neuen Machthabern einschätzte, sondern verrät auch viel darüber, wie es um Machiavelli wirklich stand:
Seit acht Monaten ertrage ich mehr Leid als je zuvor in meinem Leben, auch aus Gründen, die Euch unbekannt sind. Doch den größten Schmerz fügte mir die Nachricht von Eurer Gefangennahme zu. Ich war von Anfang an sicher, dass Ihr die Folter ohne Grund und Schuld erdulden musstet, wie es ja auch zu Tage trat. Es schmerzt mich, dass ich Euch nicht helfen konnte, wie es Euer Vertrauen in mich verdient hätte, und es bereitete mir tiefes Unbehagen, als mir Totto die Eilnachricht sandte und ich euch in keiner Weise behilflich sein konnte. Ich tat es, als der Papst gewählt war, und bat ihn nur um eine einzige Gnade: eure Befreiung, über deren schnelle Gewährung ich mich sehr freute.[ 63 ]
    Im Gegensatz zur brutalen Direktheit Machiavellis schrieb Vettori, der Botschafter, verschlüsselt. Mit dem seit acht Monaten erduldeten Schmerz kann in diesem Zusammenhang nur der

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