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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
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letzter Minute gewarnt worden? Auf jeden Fall war er verdächtig genug, um steckbrieflich gesucht zu werden: Wer wusste, wo er sich aufhielt, hatte dies den Behörden innerhalb einer Stunde zu melden, sonst drohten schwerste Strafen. Kurz darauf stellte sich der Gesuchte selbst.
    Wie die angeblichen Mitverschwörer auf der ominösen Liste wurde Machiavelli verhaftet und verhört. Das hieß nach den damaligen Bräuchen der Justiz: Er wurde gefoltert. Verdächtige, die nicht gestehen wollten, wurden mit den Schultern, an den Händen und an den Knien an Seile gebunden und so lange hinaufgezogen und wieder heruntergelassen, bis die Schmerzen unerträglich wurden. Normalerweise stellte sich der erwünschte Effekt nach spätestens vier «Versuchen» ein. Dann waren die Gelenke ausgerenkt oder so beschädigt, dass die Gefolterten alles sagten, was ihre Peiniger hören wollten. Nicht so Machiavelli, der nach sechs «Aufhängungen» ergebnislos in seine Zelle zurückgeschickt wurde.
    Andere waren gesprächiger. Giovanni Folchi, dem Machiavelli sein Gedicht über die Undankbarkeit zugeeignet hatte, wusste von Unterredungen mit dem abgesetzten Zweiten Kanzler zu berichten. Dieser habe seiner Meinung Ausdruck verliehen, dass sich die Medici mit der erneuten Herrschaft über Florenz schwertun würden, denn es fehle ihnen ein Chef vom Format Lorenzos des Prächtigen. Zudem habe Machiavelli die Liga des Papstes mit Spanien und Venedig für instabil und nicht von Dauer erklärt. Beides klingt nach Originalton Machiavelli. Die erste dieser Bemerkungen ließ sich ganz unterschiedlich interpretieren. Lorenzo de’ Medici war für Machiavelli nicht nur der Meisterdiplomat schlechthin, sondern auch der Meister der politischen Täuschung. Er besaß also wichtige Eigenschaften, die den perfekten Fürsten ausmachten. Wenn seine Söhne in dieser Hinsicht weniger zu bieten hatten, sprach das nach traditionellen Moralmaßstäben für sie, doch in Machiavellis Augen gegen die Dauerhaftigkeit ihrer Herrschaft – und somit für einen Umsturzversuch. Auch die Einschätzung, dass der Papst und mit ihm das Haus Medici nicht mehr lange mit spanischer Rückendeckung rechnen dürfe, ließ einen solchen Staatsstreich erfolgversprechend erscheinen.
    Doch das hieß noch lange nicht, dass sich Machiavelli auf Capponis und Boscolis riskantes Unternehmen eingelassen hatte. Dasselbe galt für Niccolò Valori, einen weiteren Hauptverdächtigen, mit dem der Zweite Kanzler früher freundschaftliche Kontakte unterhalten hatte. Valori gab zu, von Capponi und Boscoli kontaktiert worden zu sein, stritt jedoch jede Mitwirkung kategorisch ab. Er habe im Gegenteil den beiden Verschwörern von ihrem ebenso unmoralischen wie undurchführbaren Unternehmen abgeraten. Dasselbe behauptete Folchi. Ihm und Valori konnten die Behörden daher nur vorwerfen, den geplanten Anschlag nicht angezeigt zu haben. Im Falle Machiavellis reichte es nicht einmal zu einer solchen Anklage.
    Capponi und Boscoli, die sich zum geplanten Tyrannenmord bekannten, wurden am 23. Februar 1513 hingerichtet. Zwei Tage zuvor war Julius II. in Rom nach längerer Krankheit gestorben. Was mit den übrigen «Sympathisanten» der Verschwörer geschehen sollte, blieb in der Schwebe, bis am 11. März spätabends ein atemloser Eilkurier mit einer sensationellen Nachricht in Florenz eintraf: Giovanni de’ Medici war zum Papst gewählt worden und nannte sich jetzt Leo X.!
    Nicht nur für die Anhänger des Hauses Medici, sondern auch für die Eingekerkerten war das ein Glücksfall: Giovannis Wahl wurde nicht nur mit aufwendigen Festen, sondern auch mit einer Amnestie gefeiert. Am 12. März 1513 war Niccolò Machiavelli wieder auf freiem Fuß. Wieder einmal hatte er auf den Falschen gesetzt. Während seiner Haft hatte er nämlich ein Sonett an Giuliano de’ Medici verfasst, von dem er sich die Befreiung erhoffte:
Ich habe, Giuliano, ein Paar Ketten um die Beine
Und sechs «Seilzüge» auf dem Rücken,
das übrige Elend will ich gar nicht erzählen,
weil es den Dichtern ja niemals anders ergeht.
An den bröckelnden Wänden klettern Flöhe,
groß wie Schmetterlinge,
und in meinem eleganten Quartier herrscht ein Gestank,
schlimmer als in Roncisvalle oder in Sardinien bei den Köhlern …
Doch mehr als alles andere setzt mir zu,
dass ich, schlafend noch, im Morgengrauen
«Betet für ihre Seele» gesungen höre.[ 55 ]
    Die Verschwörer werden in dem Gedicht zum Henker geführt, Machiavelli aber bittet Giuliano

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