Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
um ein Einsehen, das selbst die berühmte Milde seines Vaters und Großvaters in den Schatten stellen sollte.
Dass Witz und Ironie Machiavelli selbst in seiner modrigen Zelle nicht verlassen hatten, zeigt die zweite Strophe des Gedichts. Sie erzählt, wie die Muse der Dichtkunst im Gefängnis nach Machiavelli sucht, um ihm Zuversicht einzuflößen. Doch da sich der Dichter nicht zu erkennen gibt, muss er sich von ihr Beschimpfungen gefallen lassen:
Du bist nicht Niccolò, sondern der Dazzo,
denn du hast Beine und Handgelenke gefesselt
und bis angebunden wie ein Verrückter.[ 56 ]
Il Dazzo, der sich so schön auf pazzo, verrückt, reimte, war ein Verseschmied und Schützling von Marcello Virgilio Adriani, dem Ersten Kanzler der Republik. Nicht die treuen Diener der Republik, sondern gesinnungstüchtige Wendehälse wie dieser Dichterling und sein Protektor gehörten in den Kerker, so lautete die Botschaft des aufsässigen Poems. Machiavelli konnte selbst in der höchsten Not nicht unterwürfig auftreten.
Was sollte der joviale Giuliano von Gedichten des Häftlings Machiavelli halten – falls er sie überhaupt zu sehen bekam? Dieser handelte offensichtlich nach der Devise: Angriff ist die beste Verteidigung. Doch war er wirklich unschuldig? Dass Genie und Wahnsinn zusammengehörten, bildete seit der Antike eine Art Freibrief für freche Poeten im Umgang mit den Mächtigen. Das war offensichtlich auch Machiavellis Strategie im Februar 1513. Legte er damit das indirekte Geständnis ab, sich auf eine Dummheit eingelassen zu haben, oder wollte er damit genau das Gegenteil sagen?
Papst Leo X. (Giovanni de’ Medici), umgeben von Kardinal Giulio de’ Medici zu seiner Rechten und einem weiteren Nepoten zur Linken, erscheint in Raffaels Bild wie der Heilige Vater selbdritt. Das Bild zeigt die politischen Prioritäten des Papstes mit aller Deutlichkeit: Alle Macht den Medici!
In seinem umfangreichsten Werk, den Discorsi über das Geschichtswerk des römischen Historikers Titus Livius, mit dessen Abfassung er kurz nach der Freilassung begann, betitelte Machiavelli eines der längsten Kapitel lakonisch mit «Über Verschwörungen». Das Thema ist seiner Ansicht nach von ewiger Aktualität, da die Menschen zur Rachsucht neigen, wenn es um ihre Ehre und ihren Besitz geht; am gefährlichsten aber sind diejenigen, deren eigene Existenz bedroht ist. Und dann gibt es noch die idealistischen Konspirateure fürs Vaterland, die wie die Cäsar-Mörder Cassius und Brutus dessen Absturz in die Tyrannei verhindern wollen.
Welches Motiv hatte Machiavelli? Er war mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt worden, seine Ehre war also beschädigt, doch sein Leben wohl kaum in Gefahr. Die alte Republik war in seinen Augen ohne Frage besser als die erneuerte Medici-Herrschaft. Doch lohnte die Wiederherstellung des governo largo den Einsatz des eigenen Lebens? Wie Machiavelli selbst erkannt und brieflich verbreitet hatte, waren es die Patrizier leid geworden, die Macht mit den kleinen Leuten zu teilen. Die Ausschaltung der Medici würde also nur dazu führen, dass sich die primi nach adäquatem Ersatz umsehen würden; dafür standen genügend andere einflussreiche Familien zur Verfügung. Zudem war Boscoli ein piagnone, der die Republik des Propheten Savonarola erneuern wollte. Diesen wiederum hielt Machiavelli für einen Betrüger.
Die immer gleichen Gründe, so Machiavelli, lassen Verschwörungen fast immer scheitern:
Die Geschichte lehrt, dass alle Verschwörungen von einflussreichen Männern, meist aus der nächsten Umgebung der Machthaber, ausgingen. Andere Personen können sich auch nicht auf ein Komplott einlassen, es sei denn, sie sind völlig von Sinnen … Männer ohne Macht und Einfluss finden nämlich niemanden, der ihnen ergeben ist; zudem können sie niemanden mit einer einzigen Aussicht gewinnen, für die es sich lohnen würde, große Gefahr auf sich zu nehmen. Daher werden sie denunziert und gehen zugrunde, sobald sie zwei oder drei Mitwisser gewonnen haben.[ 57 ]
Die Passage dürfte unmittelbar auf die Capponi-Boscoli-Verschwörung bezogen sein und analysiert ihr Scheitern: Die Drahtzieher hatten nie eine Chance. Und zu bieten hatten sie Machiavelli auch nichts. Doch das Hauptproblem jeder Verschwörung ist der Mensch, so, wie er nun einmal ist:
Vertraute mag man den einen oder anderen finden … Doch muss ihre Anhänglichkeit groß sein: größer als das Risiko und die Furcht vor der Bestrafung. Zudem täuschen sich die
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