Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
Vom Netzwerk:
erwies, einwilligen, dass es «Roano» wurde, doch nicht Giuliano della Rovere. Denn wer glaubt, dass die Mächtigen durch neue Wohltaten alte Beleidigungen vergessen, der täuscht sich. Der Herzog täuschte sich also bei dieser Papstwahl und war selbst die Ursache seines Untergangs.[ 21 ]
    Nach fast anderthalb Jahrzehnten zog Machiavelli den Schlussstrich unter das Kapitel Cesare Borgia: Dieser wurde gewogen und zu leicht befunden. Wer in einer so kritischen Situation den Versprechungen eines Todfeinds Glauben schenkt, geht zu Recht zugrunde. Er mag das Zeug zum Eroberer haben, zum perfekten Fürsten aber fehlt ihm viel.
    Den perfekten Fürsten kann Machiavelli in der Geschichte nicht finden, aber heißt das, dass es ihn auch künftig nicht geben kann? Machiavelli schafft ein Ideal, das bislang unerreicht geblieben ist. Das liegt in der Logik seines Textes und seines Anspruchs, denn zum vollendeten Herrscher wird man nicht von selbst, sondern durch die richtige Anleitung. Diese Instruktionen aber schreibt Machiavelli gerade erst nieder. Würde er auf der Suche nach dem uomo virtuoso fündig, würde er sein im Entstehen begriffenes Buch und letztlich sich selbst überflüssig machen. So bestand immerhin die Hoffnung, dass sich in Zukunft ein gelehriger Schüler finden würde.
    Am Ende widmete Machiavelli seine Lektionen nicht Giuliano de’ Medici, dem dafür denkbar ungeeigneten Empfänger, der 1516 starb, sondern dessen Neffen, dem jüngeren Lorenzo de’ Medici. Zu diesem Zweck fügte er seinem Traktat ein Schlusskapitel an, in dem er diesen Spross der herrschenden Familie zu großen Taten anspornt: Lorenzo solle Italien einen und von den Barbaren befreien!
    Dieser Schlusspassage hatte es Machiavelli zu verdanken, dass er im 19. Jahrhundert als Patron der nationalen Einigung Italiens verehrt wurde. Das war jedoch ein doppelter Irrtum. Machiavelli ging es nicht um einen geschlossenen Nationalstaat, sondern allenfalls um eine gemeinsame Abwehrfront gegen französische, schweizerische und spanische Interventionen auf der Halbinsel. Zudem war die Zueignung des Werks als Wink mit dem Zaunpfahl gedacht. Machiavelli bewarb sich damit um eine politische Aufgabe, in der er seine Einsichten umsetzen konnte! Dass ausgerechnet der «kleine» Lorenzo de’ Medici diese titanische Befreiungsarbeit verrichten sollte, entbehrt nicht der Ironie. Immer wenn Machiavelli sich genötigt sah, um Gunst zu betteln, wurde er sarkastisch.
    Was war neu an diesem «Büchlein», das Filippo Casavecchia, der liebevoll «Casa» abgekürzte Freund und Vertraute, als erster zu lesen bekam? Im Gedankensystem Machiavellis selbst ziemlich wenig: Er musste ganz überwiegend nur noch zusammenstellen und verknüpfen, was er in Gesandtschaftsberichten, Briefen und kleineren Texten schon früher vorgedacht hatte. Durch diesen Prozess der Zusammenfassung und Konzentration gewannen die vorher verstreuten Aussagen eine lakonische Wucht, die den unvorbereiteten Leser bis heute überwältigen und verstören kann. Der Schock ist umso größer, als die harten Aussagen zum Menschen und zur Politik durch keinerlei Ausdrücke des Bedauerns abgemildert werden. Darin vor allem liegt der Bruch mit der politischen, philosophischen und theologischen Tradition: Dass die Welt der Politik das Reich des Teufels war, in dem sich das Böse austobte, konnten fromme Christen beim Kirchenvater Augustinus nachlesen; dass der Mensch zum krassen Egoismus und zur Selbstbeschönigung neigte, hörte man zu Lebzeiten Machiavellis von allen Kanzeln gepredigt, besonders vehement in reformierten Städten. Doch gerade deshalb erschien es den Intellektuellen der Zeit umso notwendiger, Politik und Moral miteinander nicht nur zu versöhnen, sondern stets aufs Neue produktiv zu verschmelzen. Konkret hieß das für den großen Humanisten Erasmus von Rotterdam, Machiavellis Jahrgangs-Genossen, den christlichen Fürsten zur Selbstaufopferung, notfalls zum freiwilligen Machtverzicht zu erziehen, wenn sich dazu nur die Alternative des Machtmissbrauchs bot: Lieber die Macht als die eigene moralische Integrität aufgeben, so hatte schon das Motto antiker Fürstenerzieher wie des stoischen Philosophen Seneca gelautet. Die Macht von der traditionellen Moral freizusprechen, wie es Machiavelli im «Fürsten» tat, war vor diesem Hintergrund ein Schritt von beispielloser Kühnheit. Gewiss, sein großer florentinischer Vorläufer Leonardo Bruni hatte ein knappes Jahrhundert zuvor in seinem Geschichtswerk

Weitere Kostenlose Bücher