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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
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Charakter. Wer alle Register der Politik ziehen will, muss das gesamte Spektrum des Menschseins ausschöpfen – und nichts davon wirklich sein. Konnte es einen solchen Fürsten überhaupt geben? Waren die Menschen nicht in Wirklichkeit durch ihr Wesen fixiert und dazu verurteilt, beim Wandel des Zeitgeistes unterzugehen? Das hatte Machiavelli noch kurz zuvor in seiner Kritik an Piero Soderini behauptet. Gab es historische Beispiele, die das Gegenteil belegten?
    In seinem Buch vom Fürsten lässt Machiavelli die großen Herrscher der Antike und der Gegenwart Revue passieren. In die engere Wahl für den perfekten Fürsten gelangen immerhin einige. Francesco Sforza, der Söldnerführer, der die günstige Gelegenheit ergreift und sich zum Herrn von Mailand aufschwingt, kommt dem Ideal am nächsten. Was er mit unsäglichen Anstrengungen gewonnen hat, kann er danach in aller Ruhe behaupten: Mit diesem einen Satz, der wie der Schluss eines Märchens klingt, würdigt Machiavelli ein ungewöhnliches politisches Lebenswerk und legt es zugleich ad acta. Sforza war der richtige Mann für die Situation, die er 1447 in Mailand vorfand. Er regierte nach der Machteroberung überaus vorsichtig, gründete ein Armenspital, machte sich dadurch bei seinen Untertanen beliebt und verlebte auf diese Weise einen stimmungsvollen politischen Lebensabend.
    Von seinem vollendeten Fürsten aber verlangt Machiavelli sehr viel mehr. Gemäß der Forderung, alles vortäuschen zu können, doch nichts für immer und ewig zu sein, muss dieser uomo virtuoso die Rollen des Löwen und des Fuchses spielen, also zwei Tiere zugleich sein können. Der Löwe herrscht mit roher Gewalt, der Fuchs mit List, beide zusammen ergeben einen perfekten Herrscher. Diesen Mut zur Bestialität hat Machiavelli nur bei einem einzigen Herrscher gesehen: bei Cesare Borgia, dem einzigen Fürsten, der sich überhaupt der Schlussprüfung stellen darf. Wie ein Fuchs hat er die treulosen Unterfeldherren nach Senigallia gelockt, wie ein Löwe hat er sie danach vernichtet. Diesen schwierigsten Teil des Examens hatte der Sohn des Papstes also mit Auszeichnung bestanden. Sehr gute Noten verdiente er sich weiterhin dadurch, dass er durch wohldosierte Grausamkeit seinen Untertanen in der Romagna heilsame Furcht eingeflößt hat. Pluspunkte gab es ebenfalls dafür, dass er mit Don Ramirro den richtigen Sündenbock zum richtigen Zeitpunkt opferte, um dadurch die Früchte der Gewaltherrschaft zu ernten und sich zugleich von ihr zu distanzieren. Auch Cesare Borgias Versuch, ein eigenes Herrschaftsgebiet mit fremden Truppen zu erobern, um sich danach von diesen unabhängig zu machen, war für Machiavelli aller Ehren wert. Kein Wunder also, dass der Duca Valentino zum Muster des Fürsten schlechthin erhoben wird. Doch diesen Rang behauptet er im siebten Kapitel von De Principatibus nur vorübergehend.
    Im Studierzimmer seiner abgelegenen und baufälligen Villa spielte Machiavelli im Geiste mit dem Herzog, der 1507 am Fuß der Pyrenäen im Dienste seines Schwiegervaters, des Königs von Navarra, gefallen war, wie dieser ein gutes Jahrzehnt zuvor auf der Höhe seiner Macht mit ihm selbst gespielt hatte, nämlich wie die Katze mit der Maus. Für den Fall der Fälle, den Tod Alexanders VI., seines Vaters, sorgte Cesare so weit wie möglich vor; auch dieser Punkt wird als vorbildlich abgehakt. Dass er beim Tode des Papstes krank darniederlag, war eine krasse Ungunst Fortunas. War sein Sturz also nur eine Folge des Zufalls, der – wie Machiavelli in einem eigenen Kapitel ausführlich darlegt – in etwa die Hälfte der Macht über die Menschen und damit über die Geschichte besitzt? So sieht es zunächst aus:
Wenn ich also die Handlungen des Herzogs überblicke, wüsste ich nichts daran zu tadeln. Im Gegenteil: Mir scheint, dass ich ihn zu Recht als Vorbild für die vorführe, die mit dem Glück und fremden Waffen zur Herrschaft gelangt sind.[ 20 ]
    Mit Glück und fremden Truppen an die Macht zu gelangen und diese dann zu behaupten: Das war die höchste Kunst des Fürsten. Wer auf diesem Gebiet brillierte, durfte als der uomo virtuoso schlechthin gelten. Gebührte Cesare Borgia also dieser Ehrentitel? Dieser hatte in der Neujahrsnacht von Senigallia vorgemacht, wie man sich rächen musste: kühl und planvoll, doch auch mit Genuss. Doch leider war seine Geschichte damit nicht zu Ende:
Deshalb musste der Herzog um jeden Preis einen Spanier zum Papst wählen lassen und, wenn sich das als unmöglich

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