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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
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aufgezeigt, dass erfolgreiches politisches Handeln eine hohe Eigengesetzlichkeit und damit mehr ethische Freiräume besaß, als strengdenkende Moralisten zuzugestehen bereit waren. Doch waren das allenfalls indirekte Rechtfertigungen einer reinen Machtpolitik ohne traditionelle moralische Grundlage.
    Eine Provokation ohnegleichen war überdies, dass es im «Fürsten» gänzlich an Erklärungen für den nach traditionellen Maßstäben desolaten Zustand der Welt fehlte. Weder Sündenfall noch Teufel werden als Ursachen für die menschliche Schlechtigkeit und die Untauglichkeit der Moral für die Politik angeführt. Gott wirkt offensichtlich nicht in die Geschichte hinein. Sein angeblicher Stellvertreter auf Erden, Papst Alexander VI., wird sogar als Prototyp des politisch erfolgreichen Meisterbetrügers angeführt.
    Gerade dieser Borgia-Papst hatte die Ratschläge, die Machiavelli dem Fürsten erteilt, nicht nötig: Dass man nach der Eroberung eines Staates die feindliche Elite liquidierte, war für ihn und seinen Sohn Cesare eine selbstverständliche Maßnahme der Herrschaftssicherung. Und die Borgia waren nicht die einzigen, die schon lange zuvor viele Erfolgsrezepte Machiavellis praktizierten, doch selbstverständlich hinter einer sorgfältig errichteten Fassade der traditionellen Rechtfertigung. Die Schockwellen, die von dem Traktat «Über die Fürstentümer» ausgingen, wurden zum einen dadurch erzeugt, dass der Politik die Maske der Wohlanständigkeit heruntergerissen und Herrschaft als Inszenierung der Propaganda entlarvt wurde. Als mindestens ebenso unerträglich empfanden die meisten Zeitgenossen zum anderen, dass diese bestürzenden Fakten beschrieben, analysiert und ohne jeden Aufruf zur ethischen Besinnung akzeptiert wurden. Vollends unannehmbar war, dass diese durch und durch amoralische Politik dem Wesen des Menschen angemessen sein sollte und daher für alle Ewigkeit festgeschrieben wurde. Darüber hinaus musste sich der aufmerksame Leser eine weitere beunruhigende Frage stellen: Wenn das der perfekte Fürst war, wie sah dann erst die vollendete Republik aus?
    In Machiavellis Traktat tritt hinter der glänzenden Fassade fürstlicher Macht nämlich eine elementare Schwäche unübersehbar hervor: Der Fürst ist ein Mensch und daher sterblich. Ein Dolch oder ein Giftbecher kann ihn auslöschen. Deshalb muss auch ein von seinem Naturell her böser Fürst die Techniken der Güte beherrschen. Ein einzelner Herrscher wird daher laut Machiavelli mit seinen Untertanen aus nacktem Eigeninteresse menschlicher umgehen als die Republik. Diese konnte zudem das Problem lösen, das der individuelle Charakter des Fürsten verursachte. Im Idealfall zog dieser zwar je nach Situation alle Register von der väterlichen Milde bis zur bestialischen Grausamkeit, aber die historische Wirklichkeit sah anders aus. In ihrem grauen Licht war jeder Herrscher immer nur einer begrenzten Zahl von Herausforderungen gewachsen. In der idealen Republik dagegen würde eine erlesene Gruppe der Tüchtigsten an die Macht gelangen, die sich mit ihren verschiedenen Eigenschaften perfekt ergänzte.
    Von der Republik
    Bei allem Hohn, der am Ende über Cesare Borgia ausgeschüttet wird, konnte dieser doch laut Machiavelli ein herausragendes Verdienst für sich reklamieren: Er hatte seinem Staat gute neue Gesetze gegeben und damit die Hauptaufgabe eines Fürsten erfüllt. Einem abgesunkenen Staatswesen, in dem Cliquen regieren und die Gesetze zunehmend in Vergessenheit geraten, eine neue Ordnung aufzuzwingen, bis dieses Regelwerk ihn selbst überflüssig macht: Das war für Machiavelli die höchste Daseinsberechtigung des Herrschers. Damit war diesem ein schwindelerregend hoher Anspruch gestellt: Er musste im richtigen Moment abtreten und einer Republik Platz machen, die seiner Vormundschaft nicht mehr bedurfte. Diesen Moment der Reife zu erkennen und abzudanken, war also oberste Fürstenpflicht. Aber würde ein Herrscher, der sich als Virtuose der Täuschung und der Machttechniken erwiesen hatte, so viel selbstlose Größe aufbringen?
    Im alten Rom vollzog sich der Übergang zur Republik anders, nämlich durch die gewaltsame Vertreibung des Königs Tarquinius Superbus. Auf diesen Akt des Tyrannensturzes folgten Machiavelli zufolge dreieinhalb Jahrhunderte der vollendeten Republik, die als Vorbild für alle Zeit dienen konnte. Wie alles auf Erden musste auch sie am Ende untergehen, als sich einzelne Warlords eigene Heere zulegten und mit dieser

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