Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
persönlichen Gefolgschaft die res publica, die öffentliche Sache, zu ihrem Privatbesitz herabdrückten. Vorher aber war die römische Republik für Machiavelli der klientelfreie Raum par excellence. Hier stiegen Männer nicht durch Einfluss und Reichtum ihrer Familie, sondern allein durch Tüchtigkeit auf:
Als letztes Mittel in der Not griffen die Römer darauf zurück, einen Diktator zu wählen. Und sie wählten Lucius Quinctius Cincinnatus, der damals auf seiner kleinen Villa weilte, die er mit eigener Hand bewirtschaftete.[ 22 ]
Die Parallele zu Machiavelli in seinem gottverlassenen «Landsitz» ist unübersehbar, doch noch viel mehr sticht der Unterschied ins Auge: Machiavelli wurde von niemandem gerufen, erst recht nicht an die Spitze des Staates, denn in Florenz herrschte die Interessengruppe der Medici, die die «Staatsdiener» nicht nach Tüchtigkeit, sondern nach Gefügigkeit und Bestechlichkeit auswählte. Im antiken Rom aber zählte laut Machiavelli allein die virtù. Nach seiner Ernennung zum Diktator sammelte Cincinnatus ein Heer, besiegte den Feind, befreite das Vaterland aus der Bedrängnis – und kehrt nach Ablauf seines Amtsjahres in seine Villa zurück, die in der Zwischenzeit durch die Nachlässigkeit seiner Landarbeiter verfallen war. Doch das alles nahm der tugendhafte Republikaner klaglos hin, so wie er selbstverständlich darauf verzichtet hatte, sich durch seinen Rang zu bereichern – genau wie Machiavelli, der unbestechliche Kriegskommissar der Republik Florenz. Die Moral der Geschichte lautete daher:
Darin lassen sich zwei herausragende Sachverhalte erkennen. Das eine ist die Armut und wie die Römer damit zufrieden waren, wie es ihnen genügte, aus dem Krieg Ehre zu ziehen, den Gewinn aber dem Staat zu überlassen … Das andere ist die Charakterstärke dieser Bürger, die sich an der Spitze eines Heeres mächtiger als alle Fürsten und Republiken fühlen, sich über diese erhaben wussten und nichts auf der Welt fürchteten, sich aber trotzdem nicht zu schade waren, danach wieder Privatleute zu werden: genügsam, bescheiden, gesetzestreu, mit ihrem geringen Besitz zufrieden, den Magistraten gehorsam, den Vorgesetzten gegenüber ehrfurchtsvoll.[ 23 ]
In der idealen Republik sind also Macht und persönlicher Status der Amtsträger strikt getrennt. Politiker, die sich um den Staat verdient gemacht haben, tun nichts als ihre Pflicht; dauerhafte Vorrechte oder gar eine Vorrangstellung, geschweige denn Straffreiheit bei Verstößen gegen die Gesetze dürfen sie daraus nicht ableiten. Macht gewinnt man im Namen des Staates und auf Zeit, danach gibt man mit dem Amt auch die Macht zurück und wird wieder einfacher Bürger unter Bürgern. Auch das war in Florenz genau umgekehrt. Dort beanspruchten die Patrizier die Führungspositionen der Republik, als ob diese ihr Privatbesitz wäre. In Rom waren die Bürger für den Staat da; in Florenz war der Staat eine cosa nostra der Vornehmen. In einer wohlgeordneten Republik, so Machiavelli weiter, war der Staatsschatz stets wohlgefüllt, der Bürger hingegen arm. Auch das war in Florenz anders. Dort hatten sich die Medici durch ihren Reichtum den Staat gekauft.
Alle diese Regeln des perfekten Freistaats, die als Gegenbild zur real existierenden Republik Florenz aufgestellt wurden, stammen aus Machiavellis Discorsi sulla prima deca di Tito Livio, seinem Kommentar zu dem nur in Fragmenten erhaltenen Geschichtswerk des römischen Historikers Titus Livius (59 v. Chr. bis 17 n. Chr.). In diesen Abhandlungen reflektiert der Staatsdenker Machiavelli über ein anderthalbtausend Jahre altes Geschichtswerk. Das klingt akademisch, nach blutleerer Theorie, aber genau das Gegenteil ist der Fall: In drei Büchern, zwei Vorworten und insgesamt 142 Kapiteln stellt der selbsternannte Gesetzgeber Machiavelli die ewig gültigen Regeln der perfekten Republik auf. Dazu gehört für ihn auch das Militärwesen, das im Zentrum des dritten Buches steht. Während der Arbeit an den Discorsi, seinem nicht nur vom Umfang her größten Werk, hielt Machiavelli die Zwiesprache mit den Alten, die er im Brief vom 10. Dezember 1513 so feierlich und ironisch zugleich beschrieb und als Anreiz für die Abfassung des «Fürsten» nannte. Nicht nur aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass beide Texte im Großen und Ganzen gleichzeitig entstanden sind, als zwei Seiten der gleichen Medaille.
Im Buch vom Fürsten entwarf Machiavelli sein Bild vom Menschen; in den Discorsi legte er
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