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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
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eher dazu neigen, die Verfassung zu missachten, müssen sie vorsorglich angeklagt und verurteilt werden können, auch wenn sie sich konkret nichts zuschulden kommen ließen, allein zur Warnung und Abschreckung. Das war pure republikanische Staatsräson, in Härte und Unerbittlichkeit ihrem fürstlichen Gegenstück mindestens ebenbürtig, und erneut eine Umwertung aller Werte. Denn in den real existierenden Republiken lagen die Verhältnisse genau umgekehrt: Hier verfolgten die Justizbehörden die Kleinen unnachsichtig und ließen die großen Verbrecher laufen. Machiavellis höchster Wert aber lautet: Recht ist, was dem Staat nützt. Wen die Härte des Gesetzes unschuldig trifft, muss klaglos in seine Vernichtung einstimmen. Ruhm und höchstes Ziel des Staates ist und bleibt seine gewaltsame Ausdehnung. Dieser Zweck heiligt alle Mittel. Der Einzelne ist nichts, der Staat ist alles.
    Der nutzlose Republikaner
    Das Buch vom Fürsten und die Discorsi waren vorerst nur zur Lektüre durch ausgewählte Leser bestimmt. Zu Lebzeiten ihres Verfassers wurden beide Werke nicht gedruckt, doch zirkulierten innerhalb der florentinischen Führungsschicht diverse Abschriften. Die Medici, die durch De Principatibus beeindruckt und dazu bewogen werden sollten, Machiavelli wieder mit politischen Aufgaben zu betrauen, hüllten sich jedoch in Schweigen. Für alle, die das Buch kannten, musste diese Reaktion vorhersehbar gewesen sein. Ihrer Ansicht nach hätte es sogar weitaus schlimmer kommen können. Machiavellis idealer Fürst tat zwar kaum etwas, was die Mächtigen Italiens, unter ihnen die Medici, nicht seit langem taten, doch verbargen diese ihre wahren Absichten und Motive vor sich und den anderen hinter dicken Nebelwänden aus Propaganda und Ideologie. Diese zu durchstoßen und die machtpolitischen Antriebe nicht nur offen zuzugeben, sondern auch noch zu rechtfertigen, bedeutete im Florenz des Jahres 1513 einen beispiellosen Tabubruch. Das galt ebenso für die Discorsi. Auch das Lob des Krieges als politisches Erziehungsmittel und Lebenselixier des Staates war eine unerhörte Provokation der Wohlmeinenden. In der gesamten christlichen Tradition war der Friede auf Erden das höchste Ziel der Politik. Gerade ihrer chronischen Unfriedfertigkeit wegen hatte sich die römische Republik harsche Kritik gefallen lassen müssen, vor allem aus christlicher Sicht. So konnte Christus, der Erlöser, erst geboren werden, als mit Kaiser Augustus ein römisches Friedenszeitalter anbrach. Jetzt aber musste man sich vom abgesetzten Sekretär der Republik sagen lassen, dass Friede die Staaten ruinierte und die christliche Religion die Totengräberin der Politik war – ganz zu schweigen davon, dass erfolgreiche Politiker klaglos ihr Seelenheil verspielen sollten. Nie zuvor hatte ein Staatsdenker so viele selbstverständliche Gewissheiten der Tradition und der Gegenwart umgestoßen.
    Dass die Republik an innerem und äußerem Frieden gleichermaßen zugrunde ging, ein immerwährender Ausgleich zwischen den Schichten also gar nicht erstrebenswert sein konnte, war ein ungewöhnlicher Schluss aus der Misere des governo largo. Demnach war nicht der Dauerstreit zwischen Patriziern und Handwerkern, sondern dessen falsche Austragung das Grundübel, das 1512 zum ruhmlosen Untergang geführt hatte.
    An diesem Punkt meldete der unter den Medici erfolgreiche Politiker und spätere Historiker Francesco Guicciardini Protest an. Er las Machiavellis Discorsi kurz nach dem Tod ihres Verfassers und hielt seine Kritik in Aufzeichnungen fest, die erst 330 Jahre später gedruckt wurden. Guicciardini war Machiavellis ganze Argumentation zu apodiktisch, zu einseitig auf ein Entweder-Oder, Richtig oder Falsch ausgerichtet. Dem Wesen des Menschen entsprach jedoch viel eher ein «Sowohl-als-auch». Der Mensch neigte laut Guicciardini in der Regel zum Guten, war aber durch mancherlei Verlockungen verführbar und musste deshalb durch strenge Gesetze gelenkt werden. Dem Prinzip der Staatsräson stimmte der Patrizier Guicciardini daher zu. Dabei kam auch für ihn die Religion als Herrschaftsmittel ins Spiel: Um das Volk von sozialen Unruhen im Hier und Jetzt abzuhalten, musste man ihm gerechten Lohn im Jenseits vorgaukeln. Doch von einem Lob des starken Staates, der den Einzelnen notfalls vernichten durfte, war Guicciardini weit entfernt. Seine Staatsräson bediente sich der alles beherrschenden menschlichen Selbsttäuschung und lenkte die Untertanen durch die Kunst der

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