Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Unbekannten, immerhin Dienerin einer Zauberin, auch gewachsen?
Ich weiß nicht, ob ich das, was folgte, erzählen soll,
denn die Wahrheit schadet
oft dem, der sie sagt.
Doch ich werde es erzählen und lasse die Sorge
dem, der mich tadeln will; denn wenn man
den Genuss verschweigt, ist es kein voller Genuss.[ 42 ]
Über Heldentaten im Krieg und in der Liebe muss man reden: Ehre, wem Ehre gebührt! Der Dichter hat sie sich als Liebhaber redlich verdient, wenn man seinem Bericht Glauben schenken darf. Am nächsten Morgen ist das Vertrauensverhältnis zwischen dem Flüchtling und seiner Gastgeberin bestens gefestigt. So kann sich die zweite große Leidenschaft des Verbannten ungehindert Bahn brechen: die Politik. Mit seiner Geliebten diskutiert er die aktuelle Lage in Italien und Europa wie einst mit Vettori.
Die Kritik, die bei diesem Frühstück im Bett geäußert wird, nimmt sich im Verhältnis zu den beiden großen Abhandlungen über den Fürsten und die Republik zahm aus: Die Herrschenden sind von unstillbarer Machtgier geblendet. Jeder kennt diesen Fehler, doch keiner vermeidet ihn. Venedig verschluckt sich an dem großen Bissen, den es aus Italien herausbrechen will. Athen und Sparta sind daran zugrunde gegangen, dass sie nach der Unterwerfung ihrer Nachbarn bequem und träge geworden sind. Die deutschen Städte bleiben stark und wehrhaft, weil ihr ländliches Herrschaftsgebiet maximal sechs Meilen im Umkreis beträgt. Kriegsbereitschaft ist die Voraussetzung der Freiheit, Kriegführung das einzige Mittel, der inneren Konflikte Herr zu werden. Wenn virtù in Müßiggang übergeht, gehen die Staaten unter.
Alle diese Verse nehmen Hauptthemen der Discorsi wieder auf. Doch fügen sie auch neue Gedankengänge hinzu. Wenn eine Republik völlig zugrunde gerichtet ist, kommt virtù noch ein letztes Mal zurück. Es gibt also auch für die Florentiner eine zweite Chance, vorausgesetzt sie hören auf Machiavelli. Die kirchliche Moral hingegen hält keinen Staat am Leben. Dabei ist die richtige Religion dringend nötig, um das Volk fromm und dadurch gehorsam zu machen.
Musste Machiavelli das alles noch einmal in Reimform sagen? Offensichtlich drängte es ihn dazu, nach der Form der politischen Abhandlung mit dem Medium des Gedichts ein anderes Publikum zu erreichen. Schließlich waren seine Zehnjahrespoeme auf breite Zustimmung gestoßen. Zudem ist die Stoßrichtung des «Goldenen Esels» eine andere. Die gereimte Fabel will fraglos auch belehren, doch vor allem verspotten. Ihr Thema sind nicht die Menschen an und für sich, sondern die Tiere, die einmal Menschen waren.
Ich versprach dir zu Beginn,
dich dahin zu führen, wo du
die Regeln unseres Staates verstehen kannst.
So mach dich bitte fertig und schau dir die Leute an,
die du aus deinem früheren Leben sehr genau kennst.[ 43 ]
Spätestens jetzt zeigt sich die Fabel als eine Dante-Parodie. Machiavelli hat seinen großen Landsmann genau studiert, um ihn danach ins Komische zu wenden. Dante durchwanderte unter der Führung Vergils die Hölle, Machiavelli inspiziert an der Hand seiner Geliebten den Menschenzoo der Circe. In Dantes Hölle wurden die Sünder in unterschiedlich tiefen Kreisen so gequält, wie es zu ihrem Hauptlaster passte. Genauso sind auch die Zwinger der Zauberin angeordnet:
Und so verschieden, wie ihr Schicksal war,
so sind verschieden ihre Zimmer,
wo jeder lebt mit seinem Genossen.[ 44 ]
Wer sich im Leben tapfer und stark erwiesen hatte, wurde von Circe in einen Löwen verwandelt. An diesen Königen der Tierwelt herrscht jedoch akuter Mangel; speziell aus Florenz kommt kein Nachschub. Häuslich, ängstlich und von zarter Konstitution, wie die Florentiner nun einmal sind, haben sie sich in schnatterndes Federvieh verwandelt, das sich am wärmenden Feuer aufhält. In allen diesen Käfigen geht es insgesamt pfleglich zu.
Doch das ändert sich, als das Paar eine weitere Tür öffnet und ins Innere des Bestiariums schreitet. In diesem Tierkerker werden Politiker für die Fehler bestraft, die sie in Menschengestalt begangen haben. Einer Katze läuft in alle Ewigkeit die Beute davon, die sie durch zu langes Zögern verloren hat – auch das war ein Hieb, der gegen Florenz gerichtet war. Ein Löwe hat sich selbst die Krallen und die Zähne gezogen, weil er falschen Ratschlägen gefolgt ist. Ein Fuchs sucht vergeblich das Netz, mit dem er seine Beute fangen will. Die ganze Tierquälerei illustriert die Lektion, die der perfekte Fürst gelernt haben muss:
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