Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
der Republik galt also die Regel, dass der erfolgreiche Politiker nicht selbst an die Wahrheit der Religion glauben darf, den Schein der Gläubigkeit jedoch stets wahren muss. Der Krieg aber ist das Maß aller Dinge. Ohne Krieg kann es keine wohlgeordnete Republik geben, denn Krieg leitet die Zerstörungskraft, die jedem Menschen innewohnt, nach außen: zum Vorteil der Republik, zum Schaden ihrer Konkurrenten:
Von allen harten Knechtschaften ist die am härtesten, die eine Republik einer eroberten Republik auferlegt. Zum einen, weil sie dauerhaft eingerichtet wird und weniger Hoffnung besteht, ihr zu entrinnen. Zum anderen, weil es das Ziel der Republik ist, alle anderen Körper zu schwächen und auszusaugen, um ihren eigenen Körper zu stärken.[ 30 ]
Dieses Ziel erreicht die siegreiche Republik dadurch, dass sie, wenn nötig, ganze Völkerschaften deportiert und die Elite des unterworfenen Staates eliminiert.
Um die menschliche Destruktivität in die Energie der unaufhaltsamen Eroberung umsetzen zu können, benötigt die Republik innere Reibungsflächen. Adel und Plebs, Große und Volk müssen in einer produktiven Konkurrenz zueinander stehen. Nur wenn es solche konstruktiven Konflikte im Inneren gibt, lässt sich erfolgreich Krieg nach außen führen. Die immerwährende Rivalität im Herzen der Republik war nicht mit dem Ringen der Cliquen und Interessengruppen zu verwechseln, wie es die Geschichte der Republik Florenz als Leitmotiv durchzog. Der römische Kampf um Macht und Ansehen war das schiere Gegenteil der florentinischen Parteikämpfe. In Rom setzten sich laut Machiavelli die Tüchtigsten durch, und zwar allein, ohne Anhang. Sie waren Häupter ohne Schweif, wie er es in seinem Brief an Vettori auf die Schweiz gemünzt ausdrückte. Wenn in einer Republik wie Venedig alle Macht dem Adel zufiel, gab es diesen Wettkampf nicht, und der Staat musste absterben.
Ihre Größe verdankte die römische Republik laut Machiavelli in höchstem Maße dem Genius ihrer Gesetzgeber. Numa Pompilius gebührte der höchste Ruhm unter den Sterblichen, weil er eine politische Religion begründete, die die Gesetze in Kopf und Herz der Bürger verankerte. Von höchster politischer Klugheit zeugte auch die römische Mischverfassung. Sie war aus den Kernbestandteilen der drei guten Konstitutionen Monarchie, Aristokratie und Demokratie zusammengesetzt und trotzte damit dem Niedergang, der diesen in ihrer unvermischten Ausprägung unweigerlich drohte. Ohne diese List, das Beste aus den drei Staatsformen zu einem unauflöslichen Ganzen zu bündeln, entartete die Monarchie zur Tyrannei, die Aristokratie zur Oligarchie, zur Herrschaft einer verantwortungslosen Clique, und die Demokratie wurde zur Willkürherrschaft des Pöbels.
Die römische Kombination dreier Staatsformen bewies für Machiavelli ihre Haltbarkeit, nicht zuletzt in Krisen. Eine Monarchie konnte man enthaupten, eine Republik aber blieb auch nach Katastrophen unbezwingbar. Nie war Rom so groß wie nach der Niederlage gegen Hannibal bei Cannae, als die Republik fast das ganze Heer verloren hatte, den überlebenden Konsul jedoch nicht bestrafte, sondern wegen seiner Standhaftigkeit lobte, den Krieg weiterführte und schließlich siegte. An einem solchen Gemeinwesen wurde selbst die Macht Fortunas zuschanden.
Die Konkurrenz zwischen Patriziern und Plebejern konnte jedoch nur produktiv werden, wenn die Republik besondere juristische Vorsichtsmaßnahmen ergriff. Das siebte Kapitel des ersten Buches der Discorsi hat Machiavelli mit einem vielsagenden Titel überschrieben: «Wie notwendig in einer Republik die Anklagen sind, um die Freiheit zu erhalten». Prozesse werden in der idealen Republik nicht nur notorischen Unruhestiftern und Staatsverbrechern gemacht, sondern auch den Mächtigen, die gegen kein Gesetz verstoßen haben:
Wenn ein Bürger zu Unrecht verurteilt wird, so bleibt das für die Republik normalerweise ohne größere Schäden. Denn eine solche Hinrichtung geschieht ohne private und ohne fremde Kräfte, die die politische Freiheit ruinieren könnten. Ein solcher Akt geschieht mit öffentlicher Gewalt und im Namen der öffentlichen Ordnung, ist dadurch begrenzt und kann der Republik daher nicht schaden.[ 31 ]
In politischen Prozessen geht es nicht um Schuld oder Unschuld. Sie sind vielmehr ein notwendiges Mittel, um den Großen selbst eine heilsame Furcht vor dem Staat und seinen Gesetzen einzuflößen. Vor diesen sind an sich alle gleich. Doch da die Vornehmen
Weitere Kostenlose Bücher