Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
ohne Religion dastehen und schlecht sind. Und wir haben ihr noch einen größeren Vorwurf zu machen: dass die Kirche nämlich Italien zerstückelt hält – die zweite Ursache unseres Untergangs … Und wer diese Wahrheit bestätigt sehen möchte, müsste so viel Macht haben, dass er den päpstlichen Hof mit der Autorität, die er gegenwärtig in Italien hat, ins Land der Schweizer verlegen könnte – dem einzigen Volk, das heute hinsichtlich Religion und Militärwesen wie die alten Römer lebt. Nach dieser Verlegung würde man schnell erkennen, welche Unordnung die verdorbenen Sitten des Papsttums in der Schweiz bewirken würden, nämlich schlimmer als jedes andere Unglück, das sich in welcher Zeit auch immer ereignen könnte.[ 27 ]
Die christliche Religion, so wie sie vom Papsttum gelehrt und verbreitet wird, ist schädlich für den Staat. Die Päpste tun das Gegenteil von dem, was sie als Christenpflicht verkünden: Sie betrügen nach allen Regeln der Kunst und überziehen Italien mit Krieg, um Staaten für ihre Nepoten zu erobern. Durch diese Abweichung der Praxis von der Theorie und die vielen Ausnahmen, die der Papst gegen Geld von seinen selbst erlassenen Gesetzen genehmigt, wird die Religion als Ganze unglaubwürdig. Die Italiener, so Machiavelli, glauben nicht mehr an den christlichen Gott und werden dadurch untauglich zur Republik. Nur wer glaubt, Gott zu beleidigen, wenn er die Gesetze des Staates übertritt, wird ein guter Bürger:
Und wahrlich, es gab in keinem Volk jemals einen außergewöhnlichen Gesetzgeber, der sich nicht auf Gott berufen hat; denn nur so werden seine Gesetze angenommen. Denn es gibt viele Vorteile, die nur dem Weisen erkennbar sind, die anderen aber nicht überzeugen. Weise Männer lösen diese Schwierigkeit daher dadurch, dass sie sich auf Gott berufen.[ 28 ]
Wer die Strafe des Himmels nicht fürchtet, respektiert die Gesetze des Staates nicht. Auch hier dienen die Schweizer als positives Gegenbild: Sie fürchten Gott und zahlen daher ihre Steuern pünktlich und auf Heller und Pfennig genau, ohne jede Kontrolle von außen. Sie glauben, dass Gott ihnen dabei über die Schulter sieht. Und sie sind davon überzeugt, dass Gott von ihnen die Aufopferung fürs Vaterland verlangt und sie dafür belohnt. Daher kämpfen die Schweizer todesmutig, die Italiener dagegen, die das nicht glauben, sind feige. In Italien hat die Religion laut Machiavelli somit ihre Existenzberechtigung verloren. Diese besteht darin, dem Staat als Instrument zu seiner Stärkung zu dienen.
Ein weiterer Fehler des Christentums ist in Machiavellis Augen, dass es nicht die Starken und Tapferen lobt, sondern diejenigen, die freiwillig Leid auf sich nehmen und gewaltlos das Martyrium erdulden.
Wenn ich darüber nachdenke, warum die Völker in der Antike die Freiheit mehr liebten als heute, so ist dafür, wie ich meine, derselbe Grund ausschlaggebend, der die Menschen heute weniger stark macht, nämlich die unterschiedliche Erziehung einst und jetzt. Diese wiederum beruht auf dem Unterschied der gegenwärtigen Religion von der antiken. Denn unsere Religion, die uns die Wahrheit und den wahren Weg lehrt, lässt uns die Ehren dieser Welt weniger schätzen. Die Heiden hingegen schätzten diese hoch, ja, sie sahen darin das höchste Gut und waren daher viel tapferer.[ 29 ]
Machiavellis Verbeugung vor der allein selig machenden Wahrheit des Christentums ist ironisch: Was ist das für eine transzendente Wahrheit, die uns hienieden den Bösen ausliefert? Mit Christen, die im Geiste der Bergpredigt lieber Unrecht erdulden, als sich zu wehren, lässt sich kein Staat machen, für die richtige Republik sind sie verloren. Doch das musste laut Machiavelli nicht so sein, sondern hing von der Auslegung der christlichen Lehre ab. Wie deren richtige Interpretation aussehen müsste, lässt sich aus seiner Verherrlichung der altrömischen Staatsreligion schließen. Diese erzog die Bürger dadurch zur Härte, dass sie blutige Tieropfer veranstaltete und die Selbstaufopferung für das Vaterland pries. Dadurch trieb sie den Bürgern die Scheu vor Gewalt und die Furcht vor dem Tod aus. An solchen Botschaften und blutigen Kulten sollte sich das Christentum orientieren. Nicht nur für den Staat, sondern auch für das Militär war die Religion ein unverzichtbares Steuerungsmittel. Roms kluge Feldherren manipulierten die Orakel so, dass sie den Legionären den sicheren Sieg verhießen und sie dadurch zu Höchstleistungen anspornten.
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