Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Propaganda milder, doch nicht weniger erfolgreich als nach Machiavellis Theorie in die gewünschten Bahnen des Gehorsams.
Am entschiedensten aber erhob Guicciardini gegen Machiavellis Rom-Gläubigkeit Einspruch. Die antike römische Republik war für ihn keineswegs das ewige Vorbild, sondern ein gewalttätiger, kriegslüsterner Unterdrückungsstaat, der überall dort, wo er herrschte, Eigenständigkeit und Vielfalt auslöschte. Damit argumentierte Guicciardini ganz in der Tradition von Florenz, das sich seiner eigenen Gründungslegende und seiner republikanischen Ideologie gemäß als das neue und bessere Rom betrachtete. Vor diesem Hintergrund war Machiavellis Loblied auf das «echte» Rom am Tiber ein weiterer Tabubruch. Zudem war sich Guicciardini der historischen Distanz zwischen Antike und Gegenwart bewusst. Die Römer lebten in anderen Vorstellungswelten, hatten andere Werte, andere Vorlieben, andere Gewohnheiten. Florenz oder irgendeinem anderen Staat der Gegenwart die altrömische Verfassung überzustülpen, hieß, dem Esel die Gangart des Pferdes beibringen zu wollen. Für Guicciardini wiederholte sich die Geschichte nicht, sondern war von einem alles umfassenden Wandel geprägt. Daher konnte man aus ihr auch keine Erfolgsregeln oder gar Vorhersagen ableiten. Jeder Staat und jeder Mensch musste sich einen eigenen Weg durch die Zeit bahnen.
Machiavellis These, dass die altrömische Republik eine Mischverfassung gehabt und damit das Problem des Machtmissbrauchs gelöst habe, hatte schon der griechische Historiker und Politiktheoretiker Polybios aufgestellt. Doch dadurch wurde sie für kritische Zeitgenossen nicht richtiger. Nicht nur für Guicciardini stach klar hervor, dass die römische Republik von einer Aristokratie beherrscht wurde, die im Senat ihr Machtzentrum hatte. Zudem berichteten so viele glaubwürdige Quellen davon, dass die Vorzimmer der einflussreichen römischen Politiker schon frühmorgens mit Bittstellern überfüllt waren. Wie kam Machiavelli also dazu, ausgerechnet Rom als klientelfreien Raum zu preisen – die Stadt und den Staat, wo alles auf die richtige Empfehlung der Mächtigen ankam?
Diese Frage stellt sich bis heute. Für Machiavellis kritische Zeitgenossen war klar erkennbar, dass Livius’ Erzählung von der römischen Frühzeit aus patriotischen Sagen bestand. Machiavelli aber las diese erbaulichen Legenden als lautere Wahrheit: Von kleineren Unstimmigkeiten abgesehen, war es für ihn genau so gewesen, wie Livius es überlieferte. Machiavellis Haltung zum Werk des augusteischen Historikers, der einer dekadenten Gegenwart mit erhobenem pädagogischen Zeigefinger die mos maiorum, die unverdorbenen Sitten und die glühende Vaterlandsliebe der Frühzeit, vor Augen führte, ähnelt der Verehrung, die fromme Christen Anfang des 16. Jahrhunderts der Bibel entgegenbrachten. Über alles, auch über sich selbst, konnte Machiavelli spotten, doch nicht über die Größe Roms. Dieser Glaube verlieh ihm Halt, Orientierung, Gewissheit und ein Quäntchen Optimismus in den Jahren der politischen Kaltstellung und Isolation.
Im Menschenzoo
Machiavellis Seelenzustand in den Jahren der höchsten intellektuellen Produktivität bezeugen seine Briefe an seinen Neffen Giovanni Vernacci:
Was mich betrifft, so bin ich mir selbst, meinen Verwandten und meinen Freunden nutzlos geworden, denn so wollte es mein schmerzhaftes Schicksal.[ 32 ]
Solche Stoßseufzer wie in diesem Brief vom 15. Februar 1516 häuften sich jetzt. Bei aller Enttäuschung malte Machiavelli seine Lage nicht aussichtslos:
Kleiner Trost: Immerhin ist mir und den Meinen die Gesundheit geblieben. So bin ich im Wartestand, um zum richtigen Zeitpunkt das günstige Glück zu packen, wenn es sich einstellt, und Geduld zu haben, wenn es auf sich warten lässt.[ 33 ]
Im Buch vom Fürsten hatte Machiavelli, ganz florentinischer Macho, geschrieben, dass Fortuna eine Frau sei, die man an den Haaren packen müsse, um sie auf seine Seite zu zwingen. Diese Hoffnung hatte er auch jetzt noch nicht aufgegeben. Um die Erziehung und Bildung Vernaccis, der wie sein Bruder Totto sein Glück als Kaufmann in der Levante suchte, kümmerte sich der ehemalige Sekretär der Republik auch in der Folgezeit geradezu rührend, wie ein weiterer Brief vom 8. Juni 1517 zeigt:
Denn die Menschen verdienen so viel Wertschätzung, wie sie wert sind. Und da du dich als Ehrenmann bewährt hast, muss ich dich noch mehr lieben als vorher schon. Und ich rühme mich nicht
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