Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Callimaco verkleidet, auf nächtlicher Straße «entführt» und in Lucrezias Schlafzimmer «verschleppt». Dort muss er eine physische Tauglichkeitsprüfung bestehen, bevor man die beiden allein lässt. Während dieser ganzen Täuschungs-Operation gibt sich Frate Timoteo als Callimaco aus, damit Nicia nicht in letzter Minute misstrauisch wird. Als der Morgen anbricht, wird Lucrezias Beischläfer verscheucht, und zwar auf Nimmerwiedersehen, wie Nicia glaubt, den das tödliche Los des Unbekannten nicht im Geringsten bekümmert.
So sind alle zufrieden gestellt: Lucrezia konnte sich von den Qualitäten ihres jungen Liebhabers überzeugen und mag diesen auch künftig nicht mehr missen. Das muss sie auch nicht, denn Nicia, der der Geburt des ersehnten Stammhalters entgegen sehen darf, macht Callimaco aus Dankbarkeit zum Freund des Hauses. Dort richtet sich auch Sostrata auf Dauer ein. Ligurio hat sich unsterbliche Verdienste bei Callimaco erworben – und Frate Timoteo streicht eine hohe Belohnung ein, die als Almosen für die Armen deklariert wird.
Betrug macht also glücklich und festigt die soziale Ordnung. Eine Gesellschaft, in der alte Tölpel schöne junge Frauen heiraten, weil ihnen ihr Rang und ihr Reichtum dazu die Macht verleihen, kommt ohne Betrug als Gegenkraft nicht aus, denn die bestehende soziale Ordnung ist gegen die Natur, die sich nur durch Betrug ihr Recht verschaffen kann.
Gegenüber dieser subversiven Botschaft mutet die Schilderung der Typen auf den ersten Blick konventionell und klischeehaft an: Nicia ist der Rechtsverdreher, der zwar mit lateinischen Brocken um sich wirft, jedoch strohdumm und geizig ist; Callimaco ist der feurige junge Liebhaber, Ligurio der listige Tunichtgut; hinzu kommen die bestechliche Schwiegermutter und der perfide Beichtvater. Auch die Handlung der Komödie wirkt wenig plausibel. So beschränkt, selbstgerecht und blind vor Begierde der alte Notar auch auftritt, so erscheint doch unglaubwürdig, dass er Callimaco das Rezept des tödlichen Zaubertranks abnimmt. Unwahrscheinlich ist auch, dass er kurz darauf Frate Timoteo für Callimaco hält und diesen in seiner Verkleidung nicht erkennt.
Über alle diese Typisierungen und Stereotypisierungen hinaus gewinnen die Figuren immerhin durch ihre Charaktereigenschaften Individualität und Leben. Das gilt selbst für den auf eigenen Wunsch gehörnten Ehetrottel Nicia, den Fortuna mit ihren unerforschlichen Vorlieben so lange so ungerecht begünstigt hat. Wie die meisten Kinder des Glücks ist er überheblich, selbstgerecht und borniert, hält sich für gebildet, lässt sich aber von Callimacos pseudomedizinischem Kauderwelsch beeindrucken. Zudem gibt er sich als weltläufig aus und ist in Wirklichkeit ein Stubenhocker, der nie über Livorno hinausgekommen ist. Seine weltfremde Buchstabengelehrsamkeit hilft ihm denn auch nicht weiter. Akademische Bildung hat nichts mit dem Leben zu tun, wie es nun einmal ist.
Gegen die unverdiente Macht, die Fortunas Willkür verleiht, hilft also nur eine Verschwörung. Angezettelt wird sie von Callimaco, der Nicias Platz einnehmen will. Er begehrt Lucrezia, doch von Liebe im romantischen Wortsinn ist nirgendwo die Rede. Callimaco schmachtet nicht, er kämpft – und zwar auf Leben und Tod:
Was soll ich tun, welche Entscheidung fällen? Wohin soll ich mich wenden? Ich muss etwas versuchen, das groß und gefährlich ist, mag es auch verwerflich und unehrenhaft sein. Es ist besser zu sterben, als so zu leben. Wenn ich nachts schlafen, etwas essen, mich mit anderen unterhalten oder an irgend etwas anderem Vergnügen finden könnte, wäre ich geduldiger und würde abwarten. Doch so gibt es kein anderes Mittel. Wenn mir nicht irgendein Entschluss Hoffnung macht, bin ich dem Tod geweiht.[ 60 ]
Das ist nicht die Sprache der Liebe, sondern des Krieges. Callimaco redet wie ein Feldherr vor der Schlacht oder genauer: wie ein General laut Machiavelli vor dem alles entscheidenden Gefecht denken sollte: Sieg oder Tod! Dieses Vokabular durchzieht das ganze Stück:
Manchmal versuche ich mich selbst zu überwinden, tadele meine Wut und sage mir: Was tust du eigentlich? Bist du verrückt geworden? Was wird sein, wenn du am Ziel deiner Wünsche angekommen bist? Du wirst deinen Irrtum erkennen, wirst deine Mühen und die Sorgen, die du dir gemacht hast, bereuen. Weißt du nicht, wie wenig die Dinge, die der Mensch so heiß begehrt, am Ende zu bieten haben, verglichen mit den Erwartungen, die man daran geknüpft
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