Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
mit der göttlichen Weltordnung in Einklang stehen. Così fan tutte – so machen es schließlich alle.
Die Welt braucht den Betrug, um ins Lot zu kommen. Ist das immer und überall so? Sind die Gesetze der Moral nicht nur in der Politik, sondern auch im privaten Leben außer Kraft gesetzt? Oder gilt in einer guten politischen Ordnung die alte Moral im Alltag weiter? Die Handlung von La Mandragola spielt im Florenz der Gegenwart. In dieser Stadt ist die politische Betätigung nicht frei, erfolgt Aufstieg nicht nach Verdienst, sondern durch Korruption. Die Energien derjenigen, die nicht zur herrschenden Clique gehören, werden aus der Politik heraus- und ins Privatleben hineingedrängt. Das hatte Machiavelli bereits in der Vorrede zu seiner Komödie klipp und klar gesagt: Ihr übertragt mir keine wichtigeren Aufgaben, also schreibe ich Komödien, aus denen ihr Nutzen ziehen sollt. Dieser besteht in der Erkenntnis, dass Menschen wie Callimaco, denen der Sinn nach Großem steht, in einer Stadt wie Florenz mit amourösen Eroberungen vorliebnehmen müssen – mangels Gelegenheit, sich militärisch und politisch zu bewähren. Die Frage, ob sie das dürfen, ist damit bereits beantwortet.
Die Menschheit zerfällt für Machiavelli in die große Mehrheit derjenigen, die dazu geschaffen sind, die Gesetze stumm zu befolgen, und in die Wenigen, die die Mechanismen der Gesellschaft und des Staates durchschauen und hinterfragen. Sie wissen, dass moralische Regeln reine Konventionen sind und daran gemessen werden, in welchem Maße sie zur Stärkung des Staates taugen. In einem untauglichen Staat wie Florenz ist diese kleine Elite somit frei, diese Regeln zu übertreten.
Woher kommt eigentlich die Todesangst, von der Callimaco und Timoteo Zeugnis ablegen? In einem so lockeren Gemeinwesen wie Florenz stand Ehebruch nicht unter Strafe. Zudem drohte von Nicia, wenn er sich als gehörnter Ehemann erkannte, kaum eine fürchterliche Rache. Timoteo schließlich hatte nichts Verbotenes getan, seine unmoralische Überzeugungsarbeit wurde überdies vom Beichtgeheimnis geschützt. Trotzdem handeln beide Hauptverschwörer so, als ob es permanent um Leben oder Tod geht. Diese Sprache passt nicht zur Handlung und erst recht nicht zur Komödie. Verbirgt sich hinter La Mandragola ein tieferer Sinn, schrieb Machiavelli in Wirklichkeit ein Stück darüber, wie man den Staat der Medici stürzen konnte? Die Angst der Verschwörer, dass ihr Komplott aufgedeckt werden könnte, scheint dafür zu sprechen, ebenso das Vokabular von Krieg und Politik, das in den Dialogen über Liebe und Leidenschaft vorherrscht.
Gegen eine politische Lesart der Komödie lässt sich einwenden, dass es laut Machiavelli zum Pflichtenkodex der Eingeweihten gehört, das Spiel mit den Regeln nicht aufzudecken. Das gilt für den vollendeten Fürsten wie für den Feldherrn, der das Orakel manipuliert, um seine Soldaten kampfesmutig zu stimmen, aber seinen unerschütterlichen Glauben an die Macht der Vorzeichen vorspiegelt. Also müsste es auch für deren privates Gegenstück, den erotischen Abenteurer, gelten. Callimaco aber kennt wie seine Helfer Ligurio und Timoteo nicht die geringste Scheu, über alle Facetten seines Betrugs in aller Ausführlichkeit zu räsonnieren.
Doch das Hauptargument gegen eine politische Deutung von Machiavellis Komödie ist viel simpler: So leicht wie mit Nicia würden es die Verschwörer mit den Medici nicht haben. Diese waren nicht nur nicht leichtgläubig wie der tumbe Notar, sondern im Gegenteil vorsichtig und sehr misstrauisch. Das hatte Machiavelli selbst am eigenen Leibe erfahren. So wird er aus gutem Grund die Botschaft von La Mandragola offengelassen haben. Aber wer wollte, konnte und sollte darin auch eine Anleitung zum politischen Widerstand sehen.
«Clizia» und der Kampf der Generationen
Rechnet nicht damit, sie zu sehen, denn Sofronia, ihre Ziehmutter, will um Clizias Ehre willen nicht, dass sie hervorkommt.[ 68 ]
So lautet die Erklärung, die der Spielleiter den Zuschauern in der Vorrede des Stücks bietet. Da es in dessen Verlauf wenig zimperlich zugeht, klingt dieses prüde Argument alles andere als überzeugend. Überhaupt spielt der «Regisseur», der den Prolog vorträgt, mit den Erwartungen der Zuschauer. Gleich zu Beginn nimmt er die Handlung und den Ausgang der Komödie vorweg:
… in Athen, der vornehmen und uralten Stadt Griechenlands, lebte einst ein Edelmann, der nur einen leiblichen Sohn hatte und per Zufall ein kleines
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