Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Unterschied macht, aus reinem Herzen zu sprechen, wie es dir die Natur eingibt, oder mit List?[ 51 ]
Die Antwort lautet: Den Unterschied macht nicht die Moral, sondern allein der Erfolg. Dabei dreht sich alles um die Frage, ob Panfilo wirklich einen unehelichen Knaben gezeugt hat, oder ob Davo diese folgenreiche Eskapade nur erfindet, um die Eheschließung seines Herrn mit der Tochter des tugendhaften Cremete zu verhindern. Simo ist jedenfalls davon überzeugt, dass der gerissene Diener seines Sohnes diesen Enkel erfunden hat. Mit dieser – falschen –Überzeugung wiederum fädelt Davo seine Intrigen ein. In deren Verlauf lässt er Cremete wie Simo von dritten Personen wahre Nachrichten zukommen, die er flugs bestreitet, um dadurch umso virtuoser zu täuschen – und das alles mit dem Ziel, das «richtige» Paar, nämlich Panfilo und Glicerio, zusammenzubringen. Dass man lügen muss, um der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen und alle zufrieden zu stellen, ist für Davo keine neue Einsicht, wohl aber für die Dienerin Birria, die ihm bei seinen Plänen hilft:
Ist es denn die Möglichkeit, dass es unter den Menschen keinerlei Treu und Glauben gibt? Wahrlich, das Sprichwort trifft zu, dass jeder Mensch zuerst an sich statt an die anderen denkt.[ 52 ]
Wer selbst nicht täuschen will, wird zum Opfer der anderen, die diese Skrupel nicht kennen, und verfehlt seine Lebensziele. Umso antiquierter mutet Cremetes Ehrverständnis an, der einen ehrlichen Mann für seine Tochter will. Ein solcher Schwiegersohn ist heutzutage schwer zu finden:
Bei meinem Wort, Lesbia, es ist so, wie du gesagt hast: Es gibt fast keinen Mann mehr, der einer Frau treu ist.[ 53 ]
Wie es umgekehrt auf der Seite der Frauen aussieht, kommt in dem Stück nicht zur Sprache, doch ist davon auszugehen, dass diese dasselbe Spiel spielen. Der Mensch ist nun einmal von der Natur zum Eigennutz gezwungen, selbst der gutherzige Carino muss das zu seinem Entsetzen einsehen. Über den vermeintlichen Betrug Panfilos empört, rechnet er mit diesem ab:
Wer bist du? Was hast du mit mir zu schaffen? Warum soll ich dir geben, was ich will? Hörst du? Ich muss zuerst an mich selber denken![ 54 ]
Der Fluch des Eigennutzes lastet auf allen. Allein schon die Idee des Gemeinnutzes ist lächerlich, wie Cremetes Versuch, Simo zur Eheschließung ihrer Kinder zu bewegen, deutlich macht:
Wenn es beiden Seiten nützt, lass es uns machen! Wenn es aber dem einen nützt und dem anderen schadet, bitte ich dich, an den gemeinsamen Nutzen zu denken …[ 55 ]
Wer den gemeinsamen Nutzen im Munde führt, denkt nur an seinen eigenen Vorteil. Das erkennt im Laufe des Stücks auch Cremete:
Du wolltest mit dem Leid und Schmerz meiner Tochter deinen Sohn zur Vernunft bringen.[ 56 ]
So sind die Menschen – und zugleich sind sie entschuldigt, denn die Götter sind nicht anders, wie Panfilo in der vorletzten Szene feststellt:
So glaube ich jetzt, dass das Leben der Götter ewig dauert, denn ihnen gehen die Vergnügungen niemals aus. So bin ich unsterblich, wenn in Zukunft nichts meine Heiterkeit trübt.[ 57 ]
Wenn die Olympier dem Hedonismus frönen, dürfen sie sich nicht wundern, dass die Sterblichen es ihnen gleichtun. Mit solchen Maximen stellt sich die Komödie Andria wie eine Synthese aus Machiavellis Buch vom Fürsten und seinen Briefen an Vettori dar.
«La Mandragola» und die Praxis der Komödie
Von Machiavellis nächstem Lustspiel mit dem Titel La Mandragola wurde 1519 bereits eine Abschrift erstellt. Kurz zuvor dürfte er sie verfasst haben. Darauf weist auch die im Stück gestellte Frage hin, ob die Türken in diesem Jahr in Italien einfallen werden; eine solche Invasion wurde 1518 befürchtet. Doch dieses Thema kommt nur beiläufig zur Sprache. La Mandragola handelt nicht von christlicher Abwehrfront und Glaubenskrieg, sondern ein weiteres Mal von der Virtuosität des Betrugs. Bei diesem Lustspiel hatte Machiavelli keine antike Vorlage. Das Stück spielt auch nicht mehr im Altertum, sondern im Florenz der Gegenwart. Im Gegensatz zu Andria hat Machiavelli La Mandragola einen gereimten Prolog vorangestellt, der ebenso persönlich wie aggressiv ausfällt:
Das Stück heißt Mandragola,
warum, werdet ihr
bei der Aufführung noch sehen.
Sein Verfasser genießt nicht viel Ansehen,
doch wenn ihr nicht lacht,
so ist er bereit, euch den Wein zu zahlen.
Ein verschlagener Liebhaber,
ein dummer Doktor,
ein Mönch von schlechter Lebensart,
ein schlauer Schmarotzer
sollen euch heute
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