Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
fragliche Mädchen selbst geholfen hat. Frate: Dann kann ich das schöne Almosen in den Wind schreiben![ 64 ]
Doch Timoteo muss den Kopf nicht lange hängen lassen. Er bekommt dieselbe Prämie zugesagt, wenn er im Lucrezia-Komplott die ihm zugedachte Rolle spielt. So hat die erfundene Geschichte ihren Zweck erfüllt: Der Mönch hatte die 300 Dukaten in Gedanken bereits fest verbucht, zur Habgier kam jetzt der Widerwille, die sichergeglaubte Beute in letzter Minute zu verlieren. Wie alle Menschen wird auch der Mann der Kirche von ambizione und avarizia beherrscht. Doch Frate Timoteo ist nicht nur gierig, sondern auch schlau. Er durchschaut die Probe, auf die ihn Ligurio gestellt hat:
Wie es auch immer sein mag, ich bereue nichts. Und es ist wahr, dass ich auf keinerlei Schwierigkeiten stoßen werde, denn Frau Lucrezia ist brav und gut; und diese Eigenschaft werde ich mir zunutze machen. Alle Frauen haben am Ende wenig Grips. Und wenn es eine unter ihnen gibt, die auch nur zwei Worte weiß, so fängt sie an zu predigen, denn unter den Blinden ist die Einäugige Königin.[ 65 ]
Der erste Schluss, dass sich Lucrezia überreden lassen wird, erweist sich als richtig, der zweite, dass alle Frauen dumm sind, nicht. Timoteo gelingt es in der Tat, Lucrezia umzustimmen. Dabei zieht der Mönch alle Register der scholastischen Argumentationskunst:
Ihr müsst, was das Gewissen betrifft, jenen allgemeinen Grundsatz berücksichtigen, dass man dort, wo das Gute sicher und das Schlechte unsicher ist, dieses Gute niemals aus Furcht vor dem Schlechten versäumen darf. Und hier haben wir ein sicheres Gutes: Ihr werdet schwanger werden und dem Herrgott eine Seele erwerben. Das unsichere Übel hingegen ist, dass derjenige, der Euch beiwohnen wird, nachdem Ihr den Trank eingenommen hat, sterben wird; denn es finden sich auch solche, die nicht daran sterben … Und dass der Akt selbst eine Sünde sei, ist Unsinn, denn der Wille sündigt, nicht der Körper … Darüber hinaus ist bei allen Dingen das Ziel ausschlaggebend: Euer Ziel ist es, einen Sitz im Paradies zu besetzen und Euren Gatten zufrieden zu stellen. So sagt die Bibel, dass Loths Töchter glaubten, als einzige Frauen auf der Welt zurückgeblieben zu sein, und deshalb mit ihrem Vater geschlechtlich verkehrten. Und weil ihre Absicht gut war, sündigten sie nicht.[ 66 ]
Dass die Geschichte von Loth und seinen Töchtern in Sodom und Gomorra kein Happy End findet, verschweigt der Beichtvater seinem Beichtkind tunlichst. Hinter den haarsträubenden theologischen Gedankengängen tritt wiederum die nackte Staatsräson hervor: Der Zweck heiligt alle Mittel, Moral und Gewissen müssen dahinter zurücktreten. In einem weiteren Monolog reflektiert der anpassungsfähige Mönch mit dem flexiblen Gewissen über sein Handeln, und zwar als Callimaco verkleidet:
Diejenigen, die sagen, dass schlechte Gesellschaft den Menschen an den Galgen bringt, haben gewisslich Recht; oft endet nicht nur derjenige schlecht, der zu böse ist, sondern auch derjenige, der zu leichtgläubig und gutmütig ist. Gott weiß, dass ich niemandem Unrecht tun wollte. Ich blieb in meiner Zelle, las die Messe und bediente meine frommen Pfarrkinder. Dann stieß ich durch Zufall auf diesen Teufel von Ligurio, der mich erst mit dem Finger, dann mit dem Arm und schließlich mit meiner ganzen Person in diese Affäre verwickelte. Und ich weiß nicht, wie das alles enden soll. Doch tröste ich mich damit, dass sich viele um eine Sache kümmern, die für viele wichtig ist.[ 67 ]
Auch dieser Trost war politisch: Wenn es um Leben und Tod geht, müssen alle aufs Ganze gehen, das war ein Ratschlag, wie ihn Machiavelli Staatsmännern und Feldherren in seinen Discorsi erteilte. So ist Frate Timoteo am Ende doch mit seinem Gewissen im Reinen: Ich bin einfach zu gut für diese böse Welt! Dass er selbst erst der Verschwörung zum Erfolg verholfen hat, verdrängt er vollständig. Die Fähigkeit des Menschen zur Selbsttäuschung ist unbegrenzt, der Täter sieht sich dadurch als Opfer. So erfährt auch Lucrezia, das anfangs rein passive Objekt fremder Begierde, eine bezeichnende Verwandlung. Nach der erfreulichen Nacht mit Callimaco sieht sie in all den Irrungen und Wirrungen, die dazu geführt haben, eine Fügung des Himmels. Offenbar hat Frate Timoteo die Wahrheit gesagt: Gott wollte es – und Gott will es auch weiterhin so. Was einmal geschah, kann bei der Wiederholung nicht schlecht werden. Lucrezia hat gelernt: Was mir gefällt, muss
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