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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
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hat? Andererseits: Das Schlimmste, was dir droht, ist zu sterben und in die Hölle zu wandern. Doch wie viele andere sind bereits gestorben! Und wie viele Ehrenmänner sind in der Hölle! Schämst du dich etwa, dich zu ihnen zu gesellen? Biete also dem Schicksal die Stirn![ 61 ]
    So wie Callimaco in seinem langen Monolog räsoniert, könnte Machiavellis vollendeter Fürst mit sich selbst sprechen. Auch der perfekte Herrscher muss sich über die Regeln der Moral hinwegsetzen und sein Seelenheil preisgeben. Doch was soll’s, die Gesellschaft der Starken und Tapferen findet man ohnehin nicht im Himmel, sondern in der Hölle. Durch die erfolgreiche Verschwörung gewinnt Callimaco nicht nur physischen Genuss, sondern tiefe Einsichten in Staat und Geschichte. In der alles entscheidenden Nacht siegt er wie ein Feldherr in der Schlacht und weiß zugleich, warum: Fortuna belohnt am Ende den Kühnen. Zuvor muss dieser allerdings alles wagen, um die wankelmütige Glücksgöttin auf seine Seite zu ziehen. Mehrfach droht das Komplott zu scheitern, Callimaco allein hätte es nicht zu einem erfolgreichen Ende führen können. Wie schon Panfilo in Andria ist er auf seinen Helfer und Strategen angewiesen. Ligurio zieht nicht nur die Fäden, sondern weiß auch, wer ihm die entscheidende Hilfe leisten wird:
Diese Mönche sind Säufer und Schlaumeier, und zwar aus gutem Grund: Sie kennen unsere Sünden und ihre eigenen. Und wer nicht mit ihnen verkehrt, läuft Gefahr, sich zu täuschen und nicht zum Ziel zu gelangen.[ 62 ]
    Der Anschlag auf Lucrezias Tugend gelingt nur dadurch, dass die Religion ins Spiel gebracht wird. Lucrezia, so Nicia, tut alles, was ihr von ihrem Beichtvater aufgetragen wird. Damit gab der zu Betrügende dem Betrüger selbst den Hinweis, durch den er betrogen wird. Ligurio hat die Religion als Herrschaftsmittel erkannt und ist dadurch den Priestern ebenbürtig. Diese schließen zu Recht von ihrer eigenen Verworfenheit auf den Rest der Menschheit und erkunden deren seelische Schwachstellen, um ihre Machtstellung darauf zu gründen. Doch dieselbe unstillbare Gier nach mehr Geld und Einfluss macht sie selbst zum Werkzeug der anderen. Ligurio hat daher keine großen Schwierigkeiten, Frate Timoteo als Mitverschwörer zu gewinnen. Doch vorher muss dieser auf die Probe gestellt werden: Wie weit wird er gehen, kommt ihm sein schlechtes Gewissen am Ende in die Quere?
    Um sicher zu gehen, tischt Ligurio Frate Timoteo eine erfundene Geschichte auf: Ein befreundeter Kaufmann habe seine heiratsfähige Tochter während einer Reise nach Frankreich in einem Kloster untergebracht. Dort sei diese schwanger geworden; inzwischen sei sie im vierten Monat. Um diese Schande aus der Welt zu schaffen, sei ihr Vater bereit, ein Almosen von 300 Dukaten zu geben. Als Gegenleistung erwarte dieser nur ein kleines Heilmittel, sprich einen Abtreibungstrank.
Frate: Diese Sache will wohl bedacht sein. Ligurio: Wie? Was gibt es da zu bedenken? Bedenkt, wie viel Gutes ihr dadurch bewirkt: Ihr erhaltet dem Kloster, der Tochter, dem Mädchen und dessen Verwandten die Ehre und gebt dem Vater eine Tochter zurück, tut diesem Herrn (= Nicia, der als Verwandter der «Schwangeren» ausgegeben wird) und so vielen von dessen Verwandten einen Gefallen. Darüber hinaus verteilt ihr so viele milde Gaben, wie ihr es mit den 300 Dukaten vermögt. Auf der anderen Seite beschädigt ihr nur ein noch nicht einmal geborenes Stück Fleisch ohne Vernunft, das auf tausenderlei Art verloren gehen kann. Ich jedenfalls glaube, dass das gut ist, was den meisten gut tut. Frate: So sei es, im Namen Gottes.[ 63 ]
    Das war die Sprache der Staatsräson: Mag ein ungeborenes Menschlein ruhig verderben, wenn so viele andere Menschen daraus Nutzen ziehen. Der Vorteil der vielen rechtfertigt es, über Leichen zu gehen. Zu diesem Zweck darf man sich über die Gebote der Moral hinwegsetzen. Dass ein Kind im vierten Monat nach der Lehre des heiligen Thomas von Aquin bereits beseelt, Abtreibung also Mord war, fiel demgegenüber nicht ins Gewicht.
    Damit hatte Ligurio den Mann gefunden, den die Verschwörer brauchten. Wenn sich Lucrezias Beichtvater auf das Unternehmen Abtreibung einzulassen bereit war, würde er bei der Operation Ehebruch mit Sicherheit keinerlei Skrupel kennen. Man konnte also getrost von der Fiktion zum tatsächlichen Plan übergehen – was schon in der übernächsten Szene geschieht:
Ligurio: Diese Frau, von der ich dir erzählt habe, hat mir erzählt, dass sich das

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