Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Interessengruppen und sozialen Schichten zu betrachten. Wer als Haupt einer weit gespannten Klientel die Macht erobert, bedient sich und seine Freunde:
Die Güter ihrer Gegner verteilte die siegreiche Partei zu niedrigem Preis unter ihren Anhängern. Danach stärkte sie durch neue Gesetze und Dekrete ihre Macht. Vor allem aber stellten sie neue Wählbarkeitslisten auf, entfernten aus den Wahlbeuteln die Namen ihrer Gegner und füllten stattdessen die ihrer Gefolgsleute ein … Nach kurzer Zeit hatten sie auf diese Weise die feindliche Partei entweder vertrieben oder wirtschaftlich ruiniert und sich auf diese Weise des Staates bemächtigt.[ 9 ]
Florenz gehört uns und unseren nützlichen Freunden: Nach diesem Prinzip regierten die Medici nebst Lobby in der Folgezeit die «Republik» und verunstalteten sie dabei bis zur Unkenntlichkeit:
Man muss wissen, dass sich Bürger in der Stadt auf zweierlei Weise Ansehen erwerben: auf öffentlichem Wege oder mit privaten Methoden. Auf öffentlichem Wege dadurch, dass man eine Schlacht gewinnt oder neue Gebiete erobert, als Gesandter Sorgfalt und Vorsicht walten lässt oder die Republik weise und erfolgreich berät. Mit privaten Methoden dadurch, dass man dem einen oder anderen Bürger unerlaubte Vorteile zukommen lässt, zum Beispiel dadurch, dass man ihn vor gerechter Strafverfolgung bewahrt oder mit Geld unterstützt, ihm unverdientermaßen Ehren verleiht und nicht zuletzt dadurch, dass man die Unterschicht mit Spielen und öffentlich finanzierten Geschenken bei Laune hält. So bildet man Interessengruppen, verschafft sich Parteigänger und schädigt die Republik mit dem auf diese Weise gewonnenen Ansehen. Die auf öffentlichem Wege gewonnene Reputation hingegen nützt ihr, da sie ohne innere Spaltungen auskommt. Denn sie ist auf Gemeinnutz, nicht auf privaten Vorteil gegründet … Die inneren Konflikte von Florenz aber entstanden immer durch Interessengruppen und waren daher stets verderblich.[ 10 ]
Wer so dachte, musste auf den Sturz der Medici hoffen. Alles spricht dafür, dass schon der junge Machiavelli eine bessere Republik herbeisehnte.
Der unbewaffnete Prophet
Lorenzo de’ Medici hatte die inneren Spannungen von Florenz durch seine erfolgreiche Diplomatie auf italienischer Bühne zugleich gemildert und überdeckt. Durch seinen frühen Tod im April 1492 aber versiegte auch diese Prestigequelle der Familie, der das Geld durch den Bankrott ihrer Bank schon vorher ausgegangen war. Piero, Lorenzos Erstgeborener, war für die Rolle des «ersten Mannes von Florenz» denkbar ungeeignet. Er stammte mütterlicherseits aus der römischen Hochadelsfamilie Orsini, die seit zweihundert Jahren große Teile des ländlichen Latiums wie Kleinkönige beherrschte, und stieß die florentinischen Patrizier durch sein autoritäres Gehabe vor den Kopf. Die Meisterschaft, mit der sein Vater die richtigen Gefolgsleute in die Schlüsselpositionen gehievt hatte, ging ihm völlig ab. Sein Wille hatte zu geschehen, und zwar zum alleinigen Wohl der bedingungslos ergebenen Anhänger, die ihm nach dem Munde redeten. So hatten sich die Chefs der großen Familien die Machtverteilung nicht vorgestellt. Die Medici sollten ihnen ihre sozialen, wirtschaftlichen und politischen Privilegien sichern, den politikhungrigen Mittelstand vom Hals halten und bei Konflikten innerhalb der Führungsschicht als unparteiische Schiedsrichter vermitteln. Fielen sie aus der Rolle wie Piero, musste man sich nach Ersatz umsehen.
Als der diplomatisch unerfahrene Chef des Hauses Medici während der außenpolitischen Krise, die der Eroberungszug König Karls VIII. von Frankreich nach Neapel im Herbst 1494 ausgelöst hatte, kampflos florentinisches Territorium preisgab, war das Maß voll. Bei seiner Rückkehr von den Verhandlungen mit dem französischen Monarchen fand Piero de’ Medici die Stadttore verschlossen und musste mit seinen engsten Angehörigen ins Exil ziehen. Damit stellte sich die Frage, wie es in Florenz politisch weitergehen sollte. Für den engsten Kreis der primi lag die Antwort auf der Hand: zurück zu den «offenen Beuteln», das heißt zu den Verhältnissen vor 1434! Doch die Geschichte ließ sich nicht einfach zurückschrauben. Handwerker und Ladenbesitzer witterten Morgenluft und machten ihrerseits weitreichende Forderungen geltend. In ihren Augen war nicht nur die Familie Medici, sondern das Regime der Bankiers und Großkaufleute insgesamt diskreditiert. Es war an der Zeit, einen umfassenden
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