Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Wahrheit – nicht zum perfekten Fürsten. Wenn man diesen selbst mit dichterischer Freiheit nicht kreieren kann, hat er als Modell ausgedient.
Zanobi Buondelmonti, einer der beiden Widmungsträger der Vita, äußerte sich in seinem Dankesschreiben sehr verhalten: Er meldete Zweifel an der Geschichte an und sah Nachbesserungsbedarf. Mit seinen Provokationen war Machiavelli selbst im Freundeskreis zum Außenseiter geworden.
Die Kunst des Krieges
Am 17. November 1520 bestätigte Machiavellis einflussreicher Freund Filippo de’ Nerli den Erhalt der Castracani-Vita und einer weiteren Schrift aus Machiavellis Feder. Überschrieben war sie De re militari, über das Militärwesen. Dieser später unter dem Titel Von der Kriegskunst verbreitete Text muss also parallel zur Vita des Luccheser Stadtherrn entstanden sein, was durchaus plausibel ist. In der romanhaft ausgeschmückten Lebensgeschichte Castracanis ging es über weite Strecken um Schlachten und Strategien. Was lag näher, als nach dem Regelbuch für den Fürsten und die Republik eines für den Feldherrn zu verfassen?
Machiavelli hat diesen Text als Dialog gestaltet; das war eine unter Humanisten hoch geschätzte Form. Angesiedelt ist er in den Gärten der Rucellai, dem Diskussionsforum der zornigen Patrizier auf der Suche nach einer besseren Republik. Der Gastgeber ist Cosimo Rucellai, die Gäste sind Zanobi Buondelmonti und Luigi Alamanni, denen die Castruccio-Vita zugeeignet war, sowie Battista della Palla aus demselben patrizischen Milieu. Der Ehrengast aber heißt Fabrizio Colonna, seines Zeichens condottiere und zwar laut Machiavelli der einzige, der im dekadenten Italien der Gegenwart die Ehre dieses Berufsstandes noch hochhielt. Ob Machiavelli wirklich dieser Meinung war oder nicht: Colonna wird jedenfalls in diesem Gespräch über alle Aspekte der richtigen und falschen Kriegführung zu seinem Alter Ego. Die überwiegend jungen florentinischen Patrizier stellen dem erfahrenen Feldherrn ihre Fragen, wie es ihnen gebührt: respektvoll und lernbegierig. Das schließt gelegentlichen Widerspruch nicht aus, doch kann sie Colonna regelmäßig eines Besseren belehren. Insofern ist der fiktive Dialog ein Wunschtraum seines Verfassers: Machiavelli hoffte, die künftige Führungsschicht von Florenz für seine Ideen zu gewinnen. Wie schon bei der Einrichtung der Miliz ab 1506 ging es ihm um mehr als um eine effizientere Heeresordnung. Nur ein guter Staat hat gute Soldaten, so lautet das Motto der «Kriegskunst». In dieser Bekehrung zur richtigen Kriegführung ging es also erneut um die perfekte Republik Florenz, diesmal von der militärischen Seite her betrachtet.
Dass sich Florenz am antiken Rom orientieren muss, wird gleich zu Beginn klargestellt und durchzieht den – für Machiavellis Verhältnisse ungewöhnlich langen – Text als roter Faden. Auch die Leitmotive der Discorsi werden wieder aufgenommen: Die Gegenwart soll dem Altertum nicht nur in Nichtigkeiten wie Kunst und Kultur, sondern auch in Politik und Militärwesen nachfolgen. Nur so lässt sich die «ungeheure Korruption der Zeit» überwinden. Worin diese besteht, wird in drastischen Farben ausgemalt. Machiavelli feuert ein weiteres Mal die volle Breitseite gegen das Italien seiner Zeit: Das Land sei verweichlicht, bestechlich, käuflich, luxusverliebt, unfähig zur Selbstbehauptung und zu allem Überfluss auch noch stolz auf seine vermeintlichen Errungenschaften. Rom hingegen war in allem das Gegenteil. Seine Tugenden lauteten:
Die Tatkraft zu ehren und zu belohnen, die Armut nicht zu verachten, die Methoden und Ordnungen der Miliz hoch zu schätzen, die Bürger zu zwingen, das eine wie das andere zu lieben, ohne Parteien (sette) zu leben, das Private weniger als das Öffentliche zu schätzen und anderes mehr: Das alles kann man heute leicht zurückgewinnen.[ 96 ]
Von Rom konnte man all das lernen, was im trüben Licht der korrupten Gegenwart unmöglich schien, doch in Wahrheit machbar war. Vieles von dem, was die Discorsi zur Staatsräson zu sagen hatten, wird hier weiter zugespitzt: Der Staat hat alle Rechte gegenüber dem Bürger, der sich ihm vollständig unterordnen muss. Der Staat muss den Menschen so formen, dass dieser den Zwang liebt. Damit wird die Umerziehung total: Der perfekte Bürger-Soldat gehorcht ohne äußeren Druck, allein durch seine innere Zustimmung. Dieser totalen Republik entspricht der totale Krieg, den Fabrizio Colonna die eleganten jungen Patrizier lehren
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