Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Expansionskräfte nach innen wie nach außen entwickelt, existiert vorerst nur im Kopf Machiavellis.
Machiavellis Arte della Guerra steht in der europäischen Debatte über den Krieg einzigartig dar. Zwar fehlt es auch unter antiken Autoren nicht an Bewunderung für die unbesiegbaren Legionen der römischen Republik, doch blieb dieses Lob unauflöslich mit der zivilsatorischen Mission des Imperiums verbunden, das der Welt durch den Krieg schließlich den Frieden brachte. Dass nicht der Friede, sondern der permanente Krieg den Idealzustand für den Staat bildete, der dadurch seine lebenserhaltenden inneren Konflikte erfolgreich nach außen richten konnte, war schon in den Discorsi ein Stein des Anstoßes. Diese beunruhigenden Thesen spitzt Machiavelli durch die Apologie des uneingeschränkten Krieges zur Vernichtung des Gegners in der Arte della Guerra weiter zu. Dabei ist die Frage des bellum justum oder injustum, des gerechten oder ungerechten Krieges, wie sie zu Machiavellis Lebzeiten vor allem spanische Theologen erörterten, für ihn ohne jeden Belang. Für Francisco de Vitoria, das Haupt der Schule von Salamanca, war zum Beispiel die spanische Eroberung Mittel- und Südamerikas nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen, vor allem durch die Einführung des wahren Glaubens und die Abstellung barbarischer Missbräuche wie Menschenopfer und Götzenkult, legitim. In Machiavellis Augen waren solche Diskussionen müßig: Gerecht ist der Krieg, dessen Sieger damit seinen Staat stärkt und sein Imperium erweitert, denn langfristig siegt nur, wer die politischen Klugheitsregeln der alten Römer beherzigt.
V. DIE KUNST DER PROVOKATION 1521–1527
Auf verlorenem Posten
Mit seiner Kritik an den Humanisten und verweichlichten Mächtigen seiner Zeit, wie er sie am Schluss der Kriegskunst polemisch formulierte, manövrierte sich Machiavelli vollends ins intellektuelle und politische Abseits. Eine so fundamentale Kritik an den bestehenden Verhältnissen schoss in den Augen der Patrizier, die ebenfalls von einer besseren Republik träumten, weit über das Ziel hinaus. Sie setzten diesen erstrebenswerten Zustand mit mehr Ruhe im Inneren gleich, die nur durch die unbestrittene Dominanz der großen Familien zu erreichen war. Die kleinen Leute von Florenz ihrerseits träumten von einem sittenstrengen Gottesstaat gemäß den Lehren und Weissagungen Savonarolas. Machiavelli musste sich wie ein Prediger in der Wüste vorkommen. Er hatte nichts mehr zu verlieren und daher für seine Zeit und für seine Zeitgenossen fast nur noch Hohn und Spott übrig.
Das zeigte sich schon auf der seltsamsten seiner Dienstreisen, die den ehemaligen Chef der Zweiten Kanzlei im Mai 1521 in das Städtchen Carpi führte. Dort fand das Kapitel des Franziskanerordens statt; aus dessen Reihen sollte Machiavelli im Auftrag der Otto di Pratica, die für die öffentliche Ordnung und damit auch für die Sittenpolizei in Florenz zuständig waren, einen würdigen Fastenprediger anwerben. Dieser wurde dringend benötigt, denn – so die Machiavelli mit auf den Weg gegebene Instruktion – die Klöster von Florenz waren nicht mehr das, was sie einmal waren, die Disziplin der Mönche war abgesunken, ihr Lebensstil lax und locker. Und wie die Mönche, so das Volk. Um Abhilfe zu schaffen, sollte Machiavelli die Abtrennung einer eigenen florentinischen Ordensprovinz erreichen. Diese würde sich von der Stadt besser kontrollieren lassen, mit heilsamen Folgen für die Sittenstrenge des Klerus und der kleinen Leute. Die Komik, die dieser Mission innewohnte, war Machiavelli nur allzu sehr bewusst: Das war nicht die Disziplin, von der er träumte. Bei allem Rigorismus, mit dem die Gesetze in seiner Idealrepublik eingehalten werden mussten, sollte es in ihr alles andere als klösterlich zugehen. Machiavelli nahm es mit Galgenhumor, wie die Briefe zeigen, die er von Carpi aus an Francesco Guicciardini, den päpstlichen Gouverneur von Modena, schickte. Ihr Tenor war zynisch: Er habe früh im Leben zu lügen gelernt und sei deswegen der ideale Botschafter für diese Republik der Mönche. Er werde den Florentinern einen Prediger schicken, der ihnen nicht den Weg ins Paradies, sondern in die Hölle zeigt. Aber nicht nur in Florenz, sondern auch unter den Mönchen in Carpi wollte Machiavelli mit seiner Mission größtmögliche Unruhe stiften:
Francesco Guicciardini oder: der Historiker im Staatsgewand. Das Cristoforo dell’ Altissimo zugeschriebene Porträt zeigt
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