Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
sein Buch von der Kriegskunst am Herzen lag, zeigen seine eigenhändigen Zeichnungen: minutiös erarbeitete Schaubilder vorbildlicher Schlachtordnungen und erfolgreicher Angriffsformationen. Seinen emotionalen Höhepunkt erreicht der Text in einem Kapitel, in dem die Dialogpartner eine Schlacht simulieren. Machiavelli beschwört die Anspannung, den Mut, die Kühnheit, aber auch das Blutvergießen und Sterben der Kämpfenden, ihr Geschrei und das Wiehern der Schlachtrösser, die aufmunternden Rufe der Generäle, den wirbelnden Staub, das Klirren der Schwerter, das Triumphgeheul der Sieger und die Klagen der Verlierer, und zwar mit höchster Bewunderung für die Starken und ohne jede Spur von Mitleid oder auch nur Unbehagen am tausendfachen Sterben. So lebhaft ist diese Vision der Schlacht, dass alle Teilnehmer der martialischen Tafelrunde danach das Gefühl haben, dabei gewesen zu sein und selbst gesiegt zu haben.
In der literarischen Fiktion zollen die florentinischen Patrizier ihrem Lehrer Fabrizio Colonna nicht nur Beifall, sondern gehen danach auch ans Werk, um dessen Vorstellungen umzusetzen. In Wirklichkeit konnten die Herren Rucellai, Buondelmonti, della Palla und Alamanni an diesem Modell kaum Gefallen finden. Wie ihr Gesinnungsgenosse Lorenzo Strozzi, dem Machiavelli die Schrift widmete, fürchteten sie als typische Vertreter ihres Standes nichts mehr als die Bewaffnung des Volkes. Auch wenn die Stadtbewohner vorerst nur die Reiterei stellen sollten: 20.000 perfekt gedrillte Bauernsöhne waren in ihren Augen kaum weniger bedrohlich als ebenso viele florentinische Handwerker und Ladenbesitzer mit Schwertern und Spießen im Schrank. Ebenso schrill dürfte in ihren Ohren geklungen haben, dass Italien ausgerechnet die Schweizer, die rohen und beutegierigen Barbaren, als Vorbild vor Augen haben sollte. Die Eidgenossen waren zwar den alten Römern in jeder Hinsicht unterlegen, hatten aber laut Machiavelli immerhin den richtigen Weg eingeschlagen:
Und die Schweizer sind, wie ich dargelegt habe, durch ihre natürliche Gewohnheit gut geworden, die Spanier durch die Notwendigkeit.[ 99 ]
Italien aber kennt selbst diesen heilsamen Zwang nicht. Die Frage, wer schuld ist an der Schwäche Italiens, ist für Machiavelli längst beantwortet:
So bleiben die Italiener das Gespött der Welt. Dafür können die Völker nichts, wohl aber ihre Herrscher; diese sind zu Recht gezüchtigt worden. Und sie haben dadurch die verdiente Strafe für ihre Ignoranz erhalten, dass sie auf schimpfliche Weise ihren Staat verloren haben, ohne ein einziges Beispiel von Tatkraft.[ 100 ]
Die Fürsten und die republikanischen Eliten sind nicht allein für die militärische Misere verantwortlich:
Bevor sie die Schläge der Kriege mit den Mächten nördlich der Alpen zu spüren bekamen, glaubten unsere italienischen Fürsten, dass sich ihr Beruf darauf beschränkte, am Schreibtisch Bonmots zu ersinnen, schöne Briefe zu schreiben, in Frage und Antwort Geistesgegenwart zu beweisen, eine gekonnte Intrige anzuzetteln, sich mit Gold und Geschmeide zu schmücken, mit größerem Prunk als alle anderen zu schlafen und zu speisen, auf amouröse Abenteuer zu gehen, sich den Untertanen gegenüber hochmütig und geizig zugleich zu verhalten, im Nichtstun zu verschimmeln, militärische Würden als Gunsterweis zu verteilen, denjenigen zu verachten, der ihnen löbliche Alternativen aufzeigte, und die eigenen Worte als Orakel verehren zu lassen.[ 101 ]
Wer hatte den Herrschenden diese fatale Berufsauffassung vermittelt? Man musste nur in den zeitgenössischen Geschichtswerken und Fürstenspiegeln nachschlagen, um die Schuldigen zu finden: Die schmeichlerischen, Speichel leckenden Haus- und Hof-Humanisten waren schuld, die sich den Mächtigen würdelos andienten, um selbst weich zu schlafen und üppig zu speisen. Diejenigen aber, die warnten und Auswege zeigten, wurden mit Missachtung oder sogar Verachtung gestraft. Machiavellis lange angestaute Wut bricht sich in diesem furiosen Satz Bahn. Abhilfe kann allein ein starker Staat schaffen, der sich jederzeit in eine schlagkräftige Armee zu verwandeln vermag. Doch daran hat niemand Interesse. Die Mächtigen befürchten, ihre unverdienten Privilegien einzubüßen und denjenigen Platz machen zu müssen, die durch Leistung und Verdienst aufsteigen. Das Volk aber weiß es nicht besser und hält blind an seinen alten Gewohnheiten fest. Der Machtstaat, der über seine Bürger frei verfügt und dadurch ungeahnte
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