Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
möchte.
Denn nur der totale Krieg ist ein guter Krieg; der Krieg der Gegenwart hingegen ist eine Karikatur des Krieges. Konkret moniert Machiavelli, dass der Krieg im Italien der Gegenwart zu einem Geschäft geworden ist, während er im alten Rom Lebenszweck und Lebensform zugleich war. Die römischen Legionen kämpften, um ihren Gegner zu vernichten. Heutige condottieri liefern sich dagegen Schaugefechte, in denen kaum jemand zu Schaden kommt, und zwar aus gutem Grund: Als Militärunternehmer erhalten sie durch diese risikolosen Strategien ihre Armee und damit ihr Kapital. Der verfluchte Kaufmannsgeist hat alles ruiniert. Im Krieg darf es jedoch nicht um finanzielle Gewinne oder Verluste gehen, im Krieg geht es um Leben oder Tod, Sein oder Nichtsein. Krieg führt man deshalb weder mit fremden Söldnern noch mit eigenen Berufssoldaten, sondern mit den eigenen Bürgern. So machten es die Römer vor, und so machen es die Schweizer heute nach:
Denn man ersieht aus den antiken Exempeln, wie das Exerzieren in jedem Land gute Soldaten macht. Denn wo die Natur fehlt, hilft fleißige Übung nach, die in diesem Fall mehr als die Natur vermag.[ 97 ]
Das ist noch milde ausgedrückt. An anderer Stelle lässt sich Machiavelli ausführlicher über die vorbildlichen Methoden der Militärerziehung aus. Dazu gehören nicht nur körperliche Ertüchtigungsübungen, Wettkämpfe und Manöver, sondern auch alle Arten der mentalen Aufrüstung:
Um mich weiter über das Thema Exerzieren auszulassen: Um ein gutes Heer zu bekommen, reicht es nicht aus, die Männer abzuhärten und sie dadurch kühn, schnell und geschickt zu machen. Darüber hinaus müssen sie lernen, die Ordnung zu halten: Zu diesem Zweck müssen sie Zeichen, Signalen und der Stimme des Befehlshabers gehorchen, stillstehen, sich zurückziehen, vorrücken und marschieren können. Ohne diese Disziplin, die es mit höchster Sorgfalt einzuhalten und umzusetzen gilt, gab es nie ein gutes Heer.[ 98 ]
Disziplin geht über alles. Um sie einzuschärfen, muss der Feldherr mit gutem Beispiel vorangehen: Er muss seinen persönlichen Mut unter Beweis stellen, auch in heiklen Lagen kaltblütig sein und seine Männer durch psychologisch geschickte Reden anfeuern. Doch ohne Religion nützt das alles nichts. Wenn die Priester nicht predigen, dass Gott den Tod fürs Vaterland belohnt, bleibt die Moral der Truppe schwächlich. Wie man selbst das Christentum dafür nutzen kann, zeigt die Jungfrau von Orléans. Jeanne d’Arc, so Machiavelli, habe sich darauf berufen, Befehle Gottes auszuführen, und dadurch dem mutlosen Heer des französischen Königs neue Zuversicht und frischen Siegeswillen eingeflößt. Das Altertum kannte weitere starke Anreize. So durfte der Sieger die Unterlegenen unterjochen und als Sklaven verkaufen.
Das letzte Mittel, um die Disziplin der römischen Legionen aufrechtzuerhalten, waren grausame und abschreckende Todesstrafen. Feiglinge und Deserteure wurden in Form einer regelrechten Menschenjagd von den eigenen Kameraden zur Strecke gebracht: Das war die größte Schande und daher der wirkungsvollste Schutz gegen Verrat. Ähnlich halten es heute die Schweizer, die sich nicht nur den generischen Fußsoldaten, sondern auch dem Artilleriefeuer todesmutig entgegenwerfen. Zur Härte muss sich die List gesellen: In der Liebe und im Krieg ist laut Machiavelli jede Art von Betrug erlaubt. Nicht eine imaginäre Ehre, sondern allein der Erfolg zählt. Die Geschichte schreiben nur die Sieger, und deren Historiker lassen alles weg, was den Ruhm schmälern könnte. Giftanschläge, Bestechung, Lug und Trug – all das ist nicht nur erlaubt, sondern dringend angeraten.
Kriegstechnisch lief Machiavellis Kriegskunst auf das Lob der Infanterie hinaus. Kavallerie, Artillerie und Festungen hatten allenfalls dienende Funktionen. Die Bewaffnung sollte sich wie bei der Florentiner Miliz von 1506 zur Hälfte am alten Rom und zur Hälfte an den heutigen Schweizern und Deutschen orientieren. Das Maß aller militärischen Dinge war somit die Phalanx der Fußsoldaten; sie war so stark wie ihre Gesinnung. Noch in einem weiteren Punkt gibt Fabrizio Colonna dem Militärreformer Machiavelli Recht: Kommandeure dürfen heutzutage nicht aus derselben Gegend kommen wie ihre Soldaten. Zudem müssen sie häufig ausgetauscht werden, um persönliche Loyalitäten und damit Privatarmeen wie bei der Auflösung der römischen Republik zur Zeit Cäsars gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Wie sehr Machiavelli
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