Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Hopfen und Malz verloren.
Am 1. Dezember 1521 starb Papst Leo X., erst 46 Jahre alt, in seinem Jagdschloss La Magliana bei Rom. Für die Machtstellung der Familie in Florenz war das ein schwerer Schlag – und zugleich eine Chance. Dass ihre stolze Stadt von Rom aus beherrscht wurde, hatte die florentinischen Patrizier zutiefst gedemütigt; und dass die Medici sich dabei untergeordneter Handlanger bedienten, hatte sie zur Weißglut gereizt. Würde diese Herabwürdigung jetzt ein Ende haben? Würde Kardinal Giulio de’ Medici in Florenz residieren und hinter den Kulissen der Republik selbst regieren? Oder würde er jetzt, da der Tod die ohnehin schon stark gelichteten Reihen der Familie weiter dezimiert hatte, sogar einsehen, dass deren Tage an der Spitze von Florenz gezählt waren?
Die Macht der Medici hing am seidenen Faden; es war also angebracht, Bürgernähe zu demonstrieren. Mit der Parole, dass alles ohne Tabus diskutiert werden dürfe, wurden die Florentiner erneut aufgefordert, Vorschläge zu unterbreiten, wie es mit ihrer Republik weitergehen sollte. Machiavelli war es sich daher schuldig, noch einmal zur Feder zu greifen und seine Vorstellungen von necessità zu unterbreiten: von dem, was jetzt zu tun war. Dabei war er sich vollkommen im Klaren darüber, dass die Medici seinen Anweisungen nie und nimmer folgen würden; die Zeit der Kompromiss war in seinen Augen vorbei. Im Vergleich mit seinem Discursus von 1520 hatte er ihnen in seinem jetzt vorgelegten Reformentwurf viel weniger anzubieten. Auch hielt er es nicht mehr für nötig, unbequeme Sachverhalte durch eine gefällige Sprache zu verhüllen. Stattdessen beschrieb er ohne Umschweife das Ziel seiner Reformvorschläge, nämlich eine Republik zu schaffen, die sich auf den gemeinsamen Nutzen aller Bürger gründete:
Kein Gesetz ist vor Gott und den Menschen lobenswerter als die Ordnung, die eine wahre, einige und heilige Republik begründet, in der man frei beratschlagt, klug diskutiert und das Beschlossene getreulich ausführt.[ 6 ]
Um diese Freiheit, die es in Florenz so nie gegeben hatte, zu gewährleisten, mussten alle Parteien beseitigt werden. Zum selben Zweck musste der Große Rat aus der Zeit des governo largo wieder eingerichtet werden, und zwar nicht nur mit den umfassenden Kompetenzen, Gesetze zu erlassen und Amtsträger zu wählen, sondern auch im alten Sitzungssaal, den die Medici in der Zwischenzeit wohlweislich zweckentfremdet hatten. Dazu kam ein mittlerer Rat mit hundert Mitgliedern, der sich um Steuern und Finanzen kümmern sollte. Alles Weitere sollten zehn frei gewählte «Reformer» zusammen mit Kardinal Giulio de’ Medici regeln, der auch die erste Stadtregierung bestimmen durfte. Diese elf Verfassungsgeber durften jedoch die Rechte des Großen Rates nicht antasten; außerdem war ihre Vollmacht auf ein Jahr beschränkt. Von einem Goldenen Zeitalter der Familie vor ihrem Aussterben, mit dem Machiavelli 1520 gelockt hatte, war hier keine Rede mehr. Die Medici bekamen in seinen Überlegungen gerade genug Einfluss, um ihren Abgang ohne Risiken abwickeln zu können. Danach schlug unwiderruflich die Stunde einer besseren Republik. Machiavelli muss sich bewusst gewesen sein, dass er den Chef des Hauses Medici, um dessen Anerkennung er in Carpi noch geworben hatte, damit vor den Kopf stieß, denn so hatte sich dieser die Zukunft von Florenz nicht vorgestellt.
Im Konklave nach dem Tod seines Vetters tat Giulio de’ Medici alles, um dessen Nachfolger zu werden. Aber alle Versprechungen, die er den Kardinälen für den Fall seiner Wahl machte, fruchteten nichts. Im Januar 1522 wählten die zutiefst zerstrittenen und nach vielen ergebnislosen Abstimmungen ratlosen Kardinäle mit Hadrian Florensz d’Edel aus Utrecht, dem früheren Lehrer Kaiser Karls V., einen Ausländer, der den Namen Hadrian VI. annahm. Die Medici hatten sich in den fast neun Jahren ihrer Herrschaft in Rom zu viele Feinde gemacht. Als erster der von ihnen Vertriebenen kehrte Herzog Francesco Maria della Rovere-Montefeltro triumphal in seine Hauptstadt Urbino zurück. Damit hatten die Medici ihre letzte Machtbasis außerhalb von Florenz eingebüßt. Wenn auch Kardinal Giulio jetzt das Zeitliche segnete – so wurde spekuliert –, würden die beiden zwölfjährigen «Bastarde» Ippolito und Alessandro auf verlorenem Posten stehen. Es gab zwar noch lebende Mitglieder der Nebenlinie, darunter mit dem dreijährigen Cosimo einen Knaben, der mütterlicherseits vom
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