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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
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Neuanfang zu wagen. Nach den Vorstellungen der Zeit hieß das, sich an den Maßstäben einer besseren Vergangenheit zu orientieren. Das politische Heil lag nicht in der Zukunft, sondern im Schoß der Geschichte. Durch die Rückbesinnung auf die Werte der Vorfahren sollte statt Gruppenegoismus und Personenkult wieder Gemeinsinn einkehren und die Politik der Republik am Wohl aller ausgerichtet werden. Dafür musste jetzt eine neue moralische, personelle und konstitutionelle Grundlage geschaffen werden. Strenge Gesetze sollten dafür sorgen, dass Luxus und Ausschweifung unterbunden wurden. Neue Männer, die bislang nicht zur Führungsschicht gehört hatten, sollten an die Spitze des Staates gelangen können und diesen nach neuen moralischen Gesichtspunkten, das heißt: unbestechlich und uneigennützig regieren. Dafür musste die Verfassung so geändert werden, dass nicht mehr der Egoismus eines Tyrannen und seines Hofstaats, sondern der Wille des Volkes den Ausschlag gab.
    Solche Mahnungen hörten die Florentiner im Winter 1494/95 von den Kanzeln ihrer Kirchen. Der wichtigste Wortführer dieser Erneuerungsbewegung mit dem Motto «Zurück zu den Wurzeln!» war der Prior des Dominikanerklosters San Marco, Girolamo Savonarola aus Ferrara. Er galt vielen Florentinern als Retter, ja sogar als Prophet. Er hatte im entscheidenden Moment, als die alte Elite versagte, mit Karl VIII. verhandelt und die Plünderung der schutzlosen Stadt verhindert. Zudem hatte er schon lange zuvor geweissagt, dass der Himmel Florenz wie ganz Italien für die Sünden der eitlen und hochmütigen Mächtigen züchtigen werde. Diese Strafe hatte Gott dadurch verhängt, dass er das französische Heer nach Italien schickte. Doch hatte die Fürsprache des Propheten im letzten Moment das Schlimmste verhindert. So schenkten die meisten Florentiner Savonarola Glauben, als er seinen Zuhörern erläuterte, welch große Dinge Gott mit Florenz bewirken werde: Die Stadt am Arno werde nach Buße, Läuterung und Besserung den Weltkreis im christlichen Glauben vereinen. Danach werde Jesus Christus wiederkehren und das Tausendjährige Reich des Friedens und der Gerechtigkeit auf Erden einleiten. Voraussetzung dafür war allerdings – so die immer wieder eingeschärfte Botschaft des selbst ernannten Propheten –, dass sich die Florentiner im Glauben, in brüderlicher Nächstenliebe und in politischer Eintracht über alle Parteigrenzen hinweg zusammenschlossen und nach den strengen Regeln eines christlichen Musterstaats lebten. Gott will es: Diese Botschaft Savonarolas hatte schließlich einen völligen Umbau der Republik zur Folge. So erhielten sämtliche volljährigen Florentiner, die einer Zunft angehörten, seit drei Generationen ortsansässig waren und keine Steuerschulden hatten, die vollen politischen Rechte verliehen. Sie alle hatten jetzt Sitz und Stimme im Großen Rat, dem neu geschaffenen Basisorgan des governo largo, der «breiten Republik». Da dieser Rat – zumindest auf dem Papier – dreitausend Mitglieder zählte, halbierte man ihn und die entsprechenden Sitzungsperioden.
    Patrizier und Handwerker Seite an Seite im Wettbewerb um Ämter und Einfluss: für Niccolò Machiavelli, den Verächter der nützlichen Netzwerke und des ererbten Ranges, war das ohne Frage ein Schritt in die richtige Richtung. Versöhnung zwischen den Großen und dem Volk und zugleich eine immerwährende Konkurrenz, die nach verbindlichen Regeln ausgetragen werden musste: das war, wie seine späteren Schriften zeigen, auch sein Ideal der Republik. Doch bei näherem Hinsehen wies die «breite» Regierung gravierende Mängel auf. Patrizier und Handwerker waren zwar jetzt formell gleichberechtigt, doch zum patriotischen Schulterschluss waren sie nicht bereit. Im Gegenteil: Nie waren die Grabenkämpfe zwischen Familien und Zünften so heftig wie jetzt. Hier stieß der vermeintliche politische Wunderheiler Savonarola an seine Grenzen und heizte die inneren Konflikte mit der Zeit sogar weiter an. In seinem Brief vom 9. März 1498 an Riccardo Becchi sagte Machiavelli auch, warum:
Ihr wünschtet, über die Angelegenheiten des Frate (= Savonarolas) auf dem Laufenden gehalten zu werden – hier mein Bericht: Nach zwei Predigten, deren Abschrift Ihr besitzt, predigte er am Karnevalssonntag und forderte nach vielen Worten alle seine Anhänger dazu auf, an Karneval das Abendmahl in San Marco zu feiern. Und er sagte, dass er Gott bitten werde, ein absolut eindeutiges Zeichen zu senden, wenn

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