Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
ist den Pazzi mindestens ebenbürtig, an inneren Werten sogar überlegen. Das war eine doppelte Anspielung: auf das feige Attentat der Pazzi im April 1478, aber sicherlich auch auf die eigenen Qualitäten. Mit seinem Vater war beim besten Willen kein Staat zu machen; also konnte mit dieser stolzen Wendung, mehr Seelengröße (virtù d’animo) als die verhasste Konkurrenz zu besitzen, nur er selbst gemeint sein: Niccolò Machiavelli.
Diese Eigenschaften lässt der Brief in der Tat aufscheinen. Schon in seinem ersten Schriftstück erklärte und ordnete Machiavelli die Welt, und zwar so, wie er es später in seinen politischen Hauptwerken tun wird: Zweierlei Arten von Schenkung gibt es, und die zweite Kategorie zerfällt wiederum in eine übersichtliche Zahl von Untertypen. Es geht um ein «Entweder-Oder», für jede Variante gelten Gesetze, die unterschiedliche Erfolgsregeln erforderlich machen. Für einen so untertänigen Bettelbrief waren das ungewöhnliche Töne. Zugleich sticht ein Widerspruch ins Auge. Die prekäre Situation der Familie machte es erforderlich, einen einflussreichen Fürsprecher zu gewinnen; in dieser Hinsicht hatte Machiavelli gar keine andere Wahl. Zugleich war er sich bewusst, durch dieses Anliegen in die Gefolgschaft des Kardinals einzutreten, diesen als Patron anzuerkennen und ihm für seine Gunsterweise Gegenleistungen zu schulden. Für einen Mann mit seinen politischen und moralischen Werten war das eine unerträgliche Abhängigkeit. Die unterwürfige Sprache der Selbstverleugnung kontrastiert daher aufs schärfste mit den Tönen der stolzen Selbstbehauptung: Seht her, was ich gelte! Dadurch, dass ihr mir einen Gefallen tut, helft ihr euch selbst und dem Gemeinwesen. Ob der Kardinal bei der Lektüre des Schreibens stutzig wurde, ist nicht bekannt, wohl aber, dass die Intervention Erfolg hatte. Dem «armen» Zweig der Machiavelli blieb durch die Protektion des Kardinals das bescheidene Landgut erhalten.
Im Mai 1498 wurde Machiavelli zum Chef der Zweiten Kanzlei gewählt. Nimmt man beide Briefe, die im Abstand von nur drei Monaten geschrieben wurden, zusammen, so darf man davon ausgehen, dass bereits der «ganze» Machiavelli das Amt antrat: Machiavelli, der Kritiker der «verfilzten» Republik, Machiavelli, der religiöse Skeptiker, und Machiavelli, der Aufdecker politischer Machenschaften, die sich unter himmlischen Botschaften verbargen.
II. DIE KUNST DER DIPLOMATIE 1498–1510
Florenz im Jahre 1498
Ein knappes Vierteljahr nach dem Brief Machiavellis über die Machenschaften Savonarolas war dieser tot: Florenz hatte den Prior von San Marco als Ketzer und Betrüger hinrichten und verbrennen lassen. Im Frühjahr 1498 brauchte die Republik daher dringend neue Männer, neuen Mut und neue Ideen. Mit dem Untergang des Propheten hatte sie ihre spirituelle Gründergestalt verloren. Der Frate hatte in dunklen Tagen den Glauben daran gestärkt, dass Florenz durch göttlichen Beistand alle Krisen überwinden und zu neuer Weltgeltung emporsteigen werde. Diese Hoffnung war nicht völlig verschwunden. Speziell in der Mittelschicht hatte der verbrannte Prophet weiterhin viele Anhänger; auch einzelne einflussreiche Persönlichkeiten bekannten sich weiterhin zu ihm. Doch hing mit seinem Geständnis – ob es nun erzwungen war oder nicht –, ein Betrüger und nicht das Sprachrohr Gottes zu sein, ein Schatten über dem ganzen Staatswesen: War das governo largo mit seiner breiten politischen Trägerschicht so falsch wie die Lehre des angeblichen Propheten?
Zu dieser mentalen Verunsicherung kamen die konkreten Krisensymptome hinzu. Florenz hatte entgegen allen Verheißungen Savonarolas die 1494 abgefallene Stadt Pisa nicht zurückerobern können. Damit war der Republik ihr wichtigstes Untertanengebiet und zugleich ihr Seehafen abhanden gekommen. Viele Patrizier hatten in Pisa und Umgebung Immobilien erworben und sahen sich jetzt um die Erträge ihrer Investitionen gebracht. Darüber hinaus bot die «pisanische Rebellion» (wie die offizielle Sprachregelung in Florenz lautete) fremden Mächten beste Gelegenheit zur Einmischung in innerflorentinische Angelegenheiten. So wurde der regionale Konflikt in der Toskana zu einem europäischen Politikum und Florenz selbst hochgradig erpressbar. Tut ihr nicht, was wir wollen, so lassen wir Pisa unsere Unterstützung zukommen: Mit solchen Ultimaten sahen sich die florentinischen Botschafter in ganz Europa jetzt regelmäßig konfrontiert. Am häufigsten von
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