Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Schreiben, welche Distanz der Zweite Kanzler bei aller Kumpelhaftigkeit im Umgangston zu den anderen bewahrte.
Die Hölle auf Erden
Um dieselbe Zeit drängte es Machiavelli dazu, seine Sicht des Menschen und der Welt anders als in diplomatischen Schriftstücken auszudrücken. In seine ersten Jahre als Chef der Zweiten Kanzlei fällt die Abfassung der Geschichte (favola) von Belfagor, dem Oberteufel. Die Handlung ist schnell erzählt. Den in der Hölle versammelten Teufeln fällt auf, dass fast alle Männer, die bei Gott in Ungnade fallen und deshalb zu ihnen in die Hölle herabstürzen, ihren Frauen die Schuld an ihrer Verdammnis geben. Damit ist Pluto, der Fürst der Unterwelt, bei seiner Ehre gefordert. Er will sein unterirdisches Königreich ohne Schande (infamia) regieren. Akzeptiert er die männliche Schuldzuweisung an das weibliche Geschlecht, steht er als leichtgläubig dar. Enthält er sich eines Urteils, wird er als entscheidungsunfähig gelten, oder man wirft ihm, schlimmer noch, vor, den Unschuldigen die ihnen zustehende Gerechtigkeit zu verweigern. Um die Reputation der Hölle zu retten, muss also etwas geschehen – darin stimmt der Dämonenrat überein.
Die Hölle als Hof und Bürokratie: Bereits nach wenigen Zeilen sticht dem Leser die Parodie ins Auge. Satan und sein Gefolge sind nicht nur wie Caterina Sforza auf ihren Ruf bedacht, sie sprechen auch die Sprache der Politiker: Von prudenza, Vorsicht und angemessener Zurückhaltung, von ordnungsgemäßen Prozeduren und korrekten Dienstwegen ist bei ihren Zusammenkünften die Rede. Gott selbst hat ihnen in seinem weisen Ratschluss die heilsame Aufgabe übertragen, die Bösen zu quälen. Diesen Auftrag wollen sie nach Kräften erfüllen
Dazu müssen sie wissen, ob die Frauen wirklich am Höllensturz der Männer schuld sind. Doch wie sollen sie das herausbekommen? Einige schlagen vor, die armen Seelen, die man ja ohnehin schon quäle, unter einer besonders schweren Folter zu befragen. Schon bald zeichnet sich jedoch die einzige Lösung ab: Um die Wahrheit zu ermitteln, muss ein Teufel in die Welt entsandt werden, Menschengestalt annehmen und den menschlichen Existenzbedingungen unterworfen sein – als da sind:
… Armut, Kerker, Krankheit und jegliches andere Unglück, das die Menschen heimsucht – es sei denn, man kann sich diesen Misshelligkeiten durch Betrug und List entziehen.[ 14 ]
Dieser Vorschlag erregt unter den Teufel helles Entsetzen: Wie lieblich sind doch die Gefilde der Hölle im Vergleich zum menschlichen Dasein! Da sich kein Freiwilliger findet, muss das Los entscheiden. Es fällt auf den Erzteufel Belfagor, der vor dem Abfall von Gott den Rang eines Erzengels bekleidete. Alle Proteste fruchten nichts: Pluto, der Höllenfürst, hat befohlen, Belfagor muss gehorchen. So wird feierlich ein Vertrag aufgesetzt: Die höllische Erdenmission soll zehn Jahre dauern, danach darf der Kundschafter wieder Teufel werden. Als Ausstattung bekommt er 100.000 Dukaten mit auf den Weg. Ziel seiner Expedition ist Florenz, denn dort ist alles käuflich; mit einem solchen Vermögen öffnen sich dort einem Wucherer alle Türen. Erneut dürften Machiavellis Leser geschmunzelt haben. Auch in Florenz wurden die Botschafter ausgelost. Und viele, deren Namen gezogen wurde, verzichteten dankend: Die Kosten waren hoch, die Einnahmen gering, die Aussichten auf Erfolg ungewiss. In puncto Finanzen hat es Belfagor zwar besser, doch im Gegensatz zu den florentinischen Botschaftern kann er den Auftrag nicht ablehnen. Wie Machiavelli, der Sekretär der Signoria, muss er seinen Vorgesetzten gehorchen.
In Florenz nennt sich der in einen Menschen verwandelte Teufel Rodrigo aus Kastilien und macht schon bei seinem Einzug in die Stadt durch Prunk auf sich aufmerksam. Da er überdies gut aussieht, spendabel auftritt und verbreiten lässt, dass er in Florenz, dem zivilisiertesten Ort der Welt, eine Familie gründen möchte, treiben ihm die habgierigen Patrizier ihre Töchter scharenweise zu. Aus dem reichen Angebot wählt Belfagor die schöne Onesta Donati aus, die einer ebenso alten wie verarmten Adelsfamilie entstammt. In die Ehe bringt sie außer zwei Schwestern und drei Brüdern, die ihrem Ehegespons alle auf der Tasche liegen, ihren Hochmut ein. Ihre Arroganz übertrifft selbst die Anmaßung Luzifers, des arrogantesten aller Teufel; zu diesem Ergebnis gelangt Belfagor schon nach wenigen Wochen Ehe. Doch er ist in seine hochfahrende Gattin heillos verliebt und daher
Weitere Kostenlose Bücher