Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Papst Alexander VI., jetzt schon zehn Jahre regierte und sich im Alter von 71 Jahren einer robusten Gesundheit erfreute. Doch wie schnell konnte sich gerade das ändern! Unter dem Strich ergab sich also ein gemischtes Fazit: Dieser Mann ist bedrohlich, doch auch über ihm hängt ein Damoklesschwert, und zwar an einem dünnen Faden.
So wenig Machiavelli in Florenz auch bewegte, auf der Gegenseite dürfte seine Taktik, mit stoischer Ruhe auf deren Schwachstellen zu verweisen, nicht ohne Wirkung geblieben sein. Zudem wusste Cesare Borgia sehr wohl, dass er mit den Übergriffen gegen Florenz ein riskantes Spiel getrieben hatte. Der Zorn des in seiner Ehre gekränkten französischen Königs ließ sich parallel zu den Verhandlungen mit Machiavelli besänftigen, doch nur unter einer Bedingung: Finger weg von Florenz! Vor diesem Hintergrund schraubte der eben noch so herrische und unzugängliche Duca Valentino seine Forderungen zurück. Jetzt wollte er «nur» noch ein Militärkommando als oberster Feldherr von Florenz sowie wechselseitige Sicherheitsgarantien. Über eine solche condotta war schon früher einmal verhandelt worden, doch in der jetzigen Situation war diese scheinbar bescheidene Forderung eine Zumutung: Einen condottiere Cesare Borgia in Dienst zu stellen, das würde – wie Machiavelli wenig später notierte – heißen, sich einer permanenten Erpressung auszusetzen. Dass die Florentiner sich nicht ihren Möchtegern-Eroberer selbst ins Haus holen würden, wusste auch der Herzog sehr genau. Als Druckmittel, um die Republik ins Unrecht zu setzen, war die unannehmbare Forderung trotzdem nützlich. Doch diesen Schlag konnte die Florentiner Stadtregierung parieren. In ihrem Auftrag befleißigte sich Machiavelli der bewährten Verzögerungstaktik. Sie bestand darin, der Gegenseite die unwandelbare Freundschaft zu erklären und über die Konditionen der condotta so lange zu verhandeln, bis die Unvereinbarkeit der Preisvorstellungen feststand. So kam es, und so ging man nach gut drei Wochen ohne Vertragsabschluss auseinander.
Kurz nach Machiavellis Mission, die gerade wegen ihrer Ergebnislosigkeit seine Auftraggeber zufrieden stellte, fielen in Florenz die Würfel. Nach zahlreichen Intrigen und Gegenintrigen machte Piero Soderini als Staatsoberhaupt von Florenz das Rennen. Als einziger der Kandidaten, die in die Endauswahl gelangt waren, konnte er unter den primi und unter den Handwerkern gleichermaßen punkten. Das hatte allerdings zur Folge, dass er den Hardlinern auf beiden Seiten verdächtig war. Sein aussichtsreichster Konkurrent war Bernardo Rucellai gewesen, doch hatte dieser mit seinem Votum für eine patrizisch dominierte Republik die Mittelschicht verschreckt. Über seine Niederlage war der reiche Bankier so verärgert, dass er Florenz verließ. Wütend war er auch auf die Salviati-Cousins, die für seinen Konkurrenten Soderini gestimmt hatten. Allerdings mussten sie schnell erfahren, dass die Belohnungen ausblieben, die sie für diese Unterstützung erwartet hatten. Daraufhin gingen auch sie ins Lager der Opposition über. Machiavelli hingegen durfte sich freuen. Ende September 1502 sprach ihm Francesco Soderini nochmals hohes Lob für seine Rolle in Urbino aus. Und Mitte Oktober schrieb ihm der treu ergebene Biagio Buonaccorsi, dass der neu gewählte gonfaloniere «tutto nostro», «ganz auf unserer Seite», sei.
Cesare Borgia 2: Psychokrieg
Zu diesem Zeitpunkt war Niccolò Machiavelli erneut im Auftrag der Republik unterwegs, und zwar zu niemand anderem als Cesare Borgia. Wieder einmal drehte sich in Florenz alles um den Herzog der Romagna. Sensationelle Nachrichten machten die Runde: Seine Unterfeldherren seien von ihm abgefallen, darunter die Orsini und Vitellozzo Vitelli. Sie seien zu dem Ergebnis gekommen, dass ihnen das Bündnis mit Cesare und mit Frankreich zu wenig einbringe. Im Falle Ludwigs XII. bestätigten sie also Machiavellis Urteil, dass dieser König geizig war und alles für sich wollte. Doch das galt in den Augen der condottieri auch für die Borgia. Deren Ruf kehrte sich jetzt gegen sie: Wer wusste schon, ob er nicht als nächster selbst zu den Betrogenen, Enteigneten und Ermordeten gehören werde. Die stolze Adelsfamilie der Colonna, die Rivalen der Orsini, hatte genau diese Erfahrung gemacht. Eben noch mit den Borgia verbündet, dann zu Feinden Gottes und der Kirche erklärt, ausgeplündert und vogelfrei – dieses Schicksal wollten sich Cesares Unterfeldherren
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