Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Heute taugten sie nicht einmal als Söldner. Das war ein Abstieg, der nach einer Erklärung verlangte. Wie konnte das Rom eines Furius Camillus zum Rom eines Alexanders VI. absinken? Machiavelli sollte auf diese Frage später zurückkommen.
Unterdessen verdichteten sich die Vorhersagen, dass es Giuliano della Rovere schaffen würde. Untrügliches Anzeichen dafür waren die Wetten, die bei jeder Papstwahl abgeschlossen wurden. Am 31. Oktober, dem Tag, an dem das Konklave begann, waren sie von 60 Prozent auf 90 Prozent für den Neffen Sixtus’ IV. gestiegen. Um Mitternacht kam dann die Nachricht: Della Rovere ist Papst und nennt sich Julius II.!
Noch in der Nacht schickte Machiavelli einen Eilkurier mit dieser Botschaft nach Florenz, nicht ohne sie auf seine Art und Weise zu kommentieren:
Und wer die Gunsterweise, die er (= Giuliano della Rovere) genoss, genauer betrachtet, wird sie für ein Wunder (miracolosi) halten. Denn so viele Parteien es im Konklave gab, alle haben für ihn gestimmt. Zudem haben die Könige von Frankreich und Spanien zu seinen Gunsten geschrieben; sogar die verfeindeten Barone haben für ihn gestimmt; der Kardinal Riario hat für ihn gestimmt und der Duca Valentino hat für ihn gestimmt …[ 52 ]
Das war in der Tat ein Wunder, doch eines, das sich ohne den Zeigefinger Gottes erklären ließ. Machiavellis Bemerkungen in den nachfolgenden Briefen machen deutlich, dass das «Wunder» blanke Ironie war: Julius II. hatte seinen Wählern das Blaue vom Himmel herunter versprochen, und zwar jedem das, was er sich am meisten wünschte. So wurde Cesare Borgia nicht weniger als der Besitz der Romagna, die starke Festung Ostia als Sicherheitsplatz und die Führung der päpstlichen Truppen zugesichert. Darüber hinaus verfügte der Herzog über riesige Geldmittel, mit denen er starke Truppenverbände anwerben konnte. Hatte der Duca Valentino also erneut das launische Glück auf seiner Seite?
Der greise Julius II., wie ihn Raffael malte: in sich gekehrt und bereit, vor Gott Rechenschaft über die Regierung der Kirche abzulegen. Machiavelli sah den «schrecklichen Papst» nicht wie hier als vergeistigten Stellvertreter Christi auf Erden, sondern als skrupellosen und unberechenbaren Machtpolitiker.
So sah es aus, und so lauteten auch die Anweisungen von Machiavellis Vorgesetzten: Cesare Borgia wird weiterhin von Frankreich unterstützt, wir müssen uns daher gut mit ihm stellen. Machiavelli hingegen erlaubte sich, anderer Meinung zu sein und diese Einschätzung auch offiziell mitzuteilen:
Wenn es darum geht, seine Versprechungen zu halten, wird der Papst Schwierigkeiten bekommen, denn viele von diesen Zusagen widersprechen einander.[ 53 ]
Kardinal Giuliano della Rovere galt als überaus machtbewusst. Wie würde er da erst als Julius II. auftreten! Und ein so starker Papst sollte einen Großteil des Kirchenstaats nebst der Führung von dessen Heer an seinen Todfeind abtreten? Das mochte glauben, wer wollte:
Der Papst ist ein hochfahrender und hochgemuter Herr. Er will, dass die Macht der Kirche unter seiner Regierung zunimmt, statt weiter abzusinken.[ 54 ]
Cesare Borgia aber wollte es glauben:
Der Herzog jedenfalls lässt sich von seinem kühnen Vertrauen hinreißen; und er glaubt, dass die Worte des Papstes verlässlicher sind, als es die seinen jemals gewesen sind …[ 55 ]
Der Duca Valentino ließ sich vom Wunschdenken leiten und verkannte die Realität. Gerade jetzt wäre Fingerspitzengefühl gefordert gewesen, um nicht schwankende Mächte wie Florenz auf die Seite der Gegner zu treiben. Cesare Borgia aber tobte und wütete: Florenz habe sich ihm gegenüber immer feindlich verhalten, doch der Zeitpunkt der Rache sei nahe. Er werde Florenz in den Abgrund stoßen:
Und so erging er sich in Worten voller Gift und Leidenschaft. Mir fehlte es nicht an Argumenten und Worten für eine Entgegnung, doch beschloss ich, ihn zu besänftigen. Und so gut wie möglich verabschiedete ich mich von ihm – nach tausend Jahren, wie es mir schien.[ 56 ]
Unmittelbar danach suchte Machiavelli zwei alte Bekannte auf, die Kardinäle von Volterra und Rouen, Francesco Soderini und Georges d’Amboise, und berichtete brühwarm, was er mit dem Herzog besprochen hatte. «Roano» empörte sich über Cesare Borgias Worte: Gott wird ihn für seine Sünden strafen! Machiavelli enthielt sich eines Kommentars dazu.
Mit jedem Tag neigte sich die Waagschale zuungunsten des Duca Valentino, doch dieser wiegte sich weiter in
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