Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
die Oberhand behalten und die Franzosen nach Norden vor sich hergetrieben. Im November und Dezember lagen sich die beiden Heere am Fluss Garigliano gegenüber. Und hier – so berichtete Machiavelli nach Florenz – werde sich das Kriegsglück mit Sicherheit zugunsten Frankreichs wenden. Die Spanier hätten schwere Verluste erlitten und stünden am Rande der Niederlage.
Für Florenz waren das beruhigende Nachrichten, schließlich hatte sich die Republik enger denn je an König Ludwig XII. von Frankreich angeschlossen. Somit schien in Rom und weiter südlich alles im Lot zu sein. Zudem war Cesare Borgia endgültig zum Spielball seiner Feinde geworden. Machiavelli durfte also getrost heimkehren. Am 23. Dezember 1503 erstattete er den Dieci di Balìa mündlich Bericht: Alles stand zum Besten, Florenz durfte besinnliche Weihnachten feiern.
Die Schwäche von Florenz
Die Feiertagsruhe in Florenz währte nicht lange. Am 28. Dezember 1503 führte der spanische Feldherr bei Nacht und Nebel seine Truppen über den Hochwasser führenden Garigliano und attackierte die nichts ahnenden Franzosen, die sich vor dem seit Tagen herrschenden Unwetter in ihre Quartiere zurückgezogen hatten. Das Gemetzel war fürchterlich und der spanische Sieg vollständig. Im allgemeinen Chaos ertrank auch Piero de’ Medici. Damit hatte die Republik Florenz einen Feind weniger, doch zugleich ein neues Bedrohungsszenarium. Spanien gehörte jetzt ganz Süditalien. Würde Consalvo hier Halt machen oder gegen Florenz, den Verbündeten Frankreichs, vorrücken? Von einem Feldherrn, den jetzt alle den «Großen Kapitän» nannten, erwartete ganz Italien große Dinge.
Ganz Italien mit Ausnahme Machiavellis. Für ihn hatte Consalvo einfach Glück gehabt und die günstige Gelegenheit, die ihm die Witterung bot, ausgenutzt. Dass der Große Kapitän die bislang gültigen Regeln der Kriegskunst über den Haufen geworfen und neue Strategien entwickelt hatte, mit denen die Spanier in näherer Zukunft das Aztekenreich und Peru erobern sollten, erkannte er nicht oder besser: erkannte er nicht an. Mit seinem Angriff auf das Nervenzentrum des Gegners und neuen Guerillatechniken kämpfte der spanische Kommandeur so unrömisch wie nur möglich. Zudem bestand sein Heer aus Berufssoldaten, die aufgrund ihrer Ausbildung innerhalb kürzester Zeiträume komplizierte Operationen mit bislang ungeahnter Schlagkraft bewältigen konnten – siehe die Überquerung des Garigliano. Gerade diese zunehmende Professionalisierung des Kriegswesens war mit einer Bauern- und Bürgermiliz, wie sie die Legionen der römischen Republik in ihrer Frühzeit gewesen waren, nie und nimmer zu erreichen. Für Machiavelli waren das jedoch ganz überwiegend neumodische Verschlechterungen. Seiner Ansicht nach konnte Consalvo daher langfristig keinen Erfolg haben, genauso wenig wie sein Auftraggeber, der spanische König.
Machiavellis Auftraggebern aber war durch die Niederlage Frankreichs der Schrecken in die Glieder gefahren: Konnten sie überhaupt noch auf ihren geschlagenen Protektor zählen? Um sich seines Schutzes zu versichern, schickten die Dieci di Balìa postwendend einen außerordentlichen Botschafter an den Hof Ludwigs XII. Doch selbst das reichte nicht aus, um alle Befürchtungen zu zerstreuen. So schickten sie dem ersten Gesandten, dem Patrizier Niccolò Valori, kurz darauf einen zweiten Geschäftsträger für besondere Aufgaben und mit besonderen Fähigkeiten nach: Niccolò Machiavelli, den Frankreich-Spezialisten, der sich bei seiner ersten Frankreich-Mission zur Bewunderung der Florentiner sogar Französisch-Kenntnisse angeeignet hatte.
Seine Instruktionen vom 19. Januar 1504 waren von Panik diktiert. Florenz machte sich in diesen Handlungsanweisungen ganz klein und schutzlos: Wir haben nichts mehr zu verlieren außer unserer Freiheit, und die möchten wir gerne behalten. Doch die böse Welt gönnt sie uns nicht. Von Julius II. haben wir keine Hilfe, von Pisa, Spanien und Venedig hingegen nur Böses zu erwarten. Um uns zu retten, würden wir Euch, großer König, ja gerne in unwandelbarer Treue verbunden bleiben, doch müsst Ihr dafür auch etwas tun. Am besten kommt Ihr selber an der Spitze eines starken Heeres siegreich nach Italien. Ersatzweise tun es auch Soldaten unter einem französischen General oder Hilfsgelder. Nur bitte, tut etwas! Sonst müssen wir andere Optionen erwägen. Und im schlimmsten Fall fallen wir Spanien in die Hände, und das könnt Ihr nicht
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