Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
genutzt. Zugleich hatte er unerhörtes Glück gehabt. Zudem war die Verblendung der condottieri unbegreiflich: Wie konnten sie nur in diese Falle geraten? Überdies rühmte sich der Sieger allzu penetrant seines Erfolges. War am Ende alles nur eine zufällig gelungene Vendetta?
Für Machiavelli, der immer häufiger seine Abberufung gefordert hatte und jetzt ernsthaft erkrankte, hatte der Triumph der Borgia zumindest ein Gutes: Er durfte endlich nach Florenz zurückkehren. Obwohl seine Auftraggeber öfter, als ihnen lieb war, auf seine Briefe warten mussten, weil die Kurierverbindungen in diesem strengen Winter schlecht funktionierten, und die Nerven daher in Florenz regelmäßig blank lagen, durfte auch er sich als Triumphator fühlen. Solange der Herzog in Bedrängnis war, hatte er der Signoria geraten, diese Zwangslage auszunutzen. Danach hatte er die Aussichtslosigkeit der halbherzigen Rebellion richtig vorhergesagt. Auch seine Diagnose, dass Cesare Borgia Hochrisikopolitik betrieb und weiterhin «Alles oder nichts» spielen würde, sollte sich schnell bewahrheiten.
Cesare Borgia 3: Lektionen für Florenz
Auch für sich hatte der florentinische Gesandte viel gewonnen: Sein Fundus an politischen Erfolgsregeln hatte sich beträchtlich angereichert. So wie Cesare Borgia, mit List und Gewalt, musste ein Fürst vorgehen, wenn ihm seine Gefolgsleute die Treue aufkündigten. Zuerst musste man die Rebellen in Sicherheit wiegen und danach mit aller Härte zuschlagen. Der Coup von Senigallia gewann auf diese Weise Ewigkeitswert. Mit aller Liebe zum Detail und mit viel schriftstellerischer Freiheit hat ihn Machiavelli einige Jahre später nacherzählt. Die Moral von dieser Geschichte lautete für ihn: Man muss die mentalen Schwächen der Feinde erkennen und ausnutzen. Im Falle der condottieri bestanden diese Schwachstellen in ihrem schlechten Gewissen, der daraus resultierenden Halbherzigkeit und im Vertrauen auf die Ehrlichkeit des Papstes. Dieser letzte Fehler war tödlich. Selbst so hartgesottene Schlagetots wie Vitellozzo Vitelli und Liverotto da Fermo konnten sich nicht vorstellen, dass der Stellvertreter Christi auf Erden ein abgefeimter Betrüger war. Sie sahen die Welt, wie sie sein sollte, und nicht so, wie sie nun einmal war. Das zu zeigen, war die Aufgabe Niccolò Machiavellis.
Wie sollte die Welt Cesare Borgia sehen? Der Sohn des Papstes war der vollendete Typ des Glücksherrschers: Er war durch Zufall an die Macht gekommen, und auch danach hatte ihn Fortuna unaufhörlich begünstigt. Doch das war nicht alles. Der Herzog spielte die Rolle, die ihm durch höhere Gewalt zugefallen war, perfekt. Er zog alle Register des Betrugs und der Gewalt, um seine Stellung als Herrscher zu stärken. Und er war mit allen Kräften bestrebt, die Unterstützung Roms und Frankreichs dazu zu nutzen, sich von dieser doppelten Abhängigkeit zu befreien. Zu Beginn des Jahres 1503 war ihm das nach Meinung Machiavellis weitgehend gelungen. Seine Macht in der Romagna war gefestigt; die Untertanen hatten ihn fürchten und schätzen gelernt. Wenige Wochen zuvor war diese Diagnose genau umgekehrt ausgefallen. Noch im Oktober 1502 hatte Machiavelli betont, wie konservativ die Bevölkerung Urbinos und Camerinos eingestellt war. Sie trauerte ihren alten Herren nach und tat alles für deren Rückkehr. Das alles galt jetzt in seinen Augen nicht mehr. Auch Machiavelli wurde vom Erfolg des Herzogs geblendet.
So sehr ihn der Aufstieg des Papstsohns als Lehrstück für alle Zeit auch faszinierte, im Wesentlichen liefen seine Überlegungen auf die Nutzanwendung für Florenz hinaus. Was hatte die Republik vom Sohn des Papstes zu fürchten und zu lernen? Zwei Denkschriften, die der Chef der Zweiten Kanzlei im Sommer 1503 verfasste, waren ganz von seinem Borgia-Erlebnis geprägt. In beiden Memoranden ging es darum, wie sich Florenz gegenüber seinen rebellischen Untertanen in Arezzo und in der Valdichiana verhalten sollte. Diese hatten nach langem Widerstand endlich die Waffen strecken müssen. Wie sollte es jetzt weitergehen? Und wie konnte man solche Aufstände künftig verhindern?
Machiavellis Antwort lautete: auf keinen Fall so, wie es Florenz gemacht hatte. Die Republik hatte die Einwohner von Arezzo bestraft und dadurch entehrt, doch nicht am Boden zerstört. Verständlicherweise sannen die Geschlagenen auf Rache, was Florenz zu erhöhter Wachsamkeit zwang und dadurch teuer zu stehen kam. Dieses Vorgehen war ein typischer Mittelweg und wie
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