Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
hatte sich während seines Aufenthalts in Blois eigentümlich verändert:
Der Kanzler des Königreichs hielt mir zuerst einen langen Vortrag über die Verdienste, die Frankreich gegenüber Florenz erworben hatte, und zwar von Karl dem Großen bis zum gegenwärtigen König Ludwig, und sagte mir dann, dass der König glaube, der Papst werde von einem diabolischen Geist, der sich in ihm festgesetzt habe, angetrieben.[ 9 ]
Das mochte der König glauben, doch glaubte das auch Machiavelli? Diese Erklärung klang nach der Geschichte von Belfagor, dem Erzteufel, also nach Satire. Doch Machiavelli war nicht zum Scherzen zumute:
Möge Gott das Beste geschehen lassen und den Papst von jenem diabolischen Geist befreien, von dem die Franzosen ihn besessen sehen. Auf dass er Euch nicht zertreten und sich selbst nicht begraben möge![ 10 ]
Wenn Machiavelli fromme Stoßseufzer ausstieß und Gott und den Teufel in der Geschichte bemühte, musste es weit gekommen sein, und zwar mit ihm und mit Florenz. Florenz nämlich musste sich, so Machiavelli zwei Wochen später, endlich entscheiden:
So glaubt man, dass Ihr Euch auf jeden Fall erklären müsst: mit Frankreich zusammen Krieg führen oder Euch Frankreich zum Feind machen. … Und diese Entscheidung muss schnell erfolgen, denn die Gelegenheit hat ein kurzes Leben.[ 11 ]
Diese Entscheidung überließ Machiavelli – wiederum untypisch für seinen bisher auf diplomatischen Missionen gepflegten «Beratungsstil» – zwar dem überlegenen Urteil der Dieci di Balìa, doch konnte sie nach seinen vorangehenden Darlegungen nur lauten, dass Florenz die Reihen mit Frankreich fest schließen sollte. Wenn sich Julius II. dadurch zu einem Frieden zwingen ließ, war das Problem gelöst. Wenn nicht, musste man den Kaiser in die französischflorentinische Allianz mit einbeziehen, um den Papst zu isolieren. Auch dieses Argument war alles andere als überzeugend. Gerade der Kaiser war durch sein Amt zum Schutz der Kirche verpflichtet. Dass sich der medienbewusste Maximilian diese Gelegenheit, sich als christlicher Idealherrscher zu präsentieren, entgehen ließ, war unwahrscheinlich.
Der Weg in den Abgrund
Auf so vielen Missionen hatte Machiavelli den Mut zur unbequemen Meinung unter Beweis gestellt und nicht die geringste Scheu gezeigt, seinen Auftraggebern harte Wahrheiten ohne jede Beschönigung mitzuteilen. Warum zeigte er in Frankreich ein anderes Gesicht und schrieb Piero Soderini und den Dieci di Balìa das, was sie von ihm hören wollten, dass es nämlich keine Alternative zur Anbindung an Frankreich gebe? Für Kardinal Soderini, den Bruder des gonfaloniere, und einen großen Teil der florentinischen Oberschicht stand diese Ausrichtung schon aus rein finanziellen Gründen fest: Der Kirchenfürst besaß in Frankreich reiche Pfründen, die Kaufleute und Bankiers unterhielten mit Lyon lebenswichtige Geschäftsverbindungen. Soderini selbst hatte sein politisches Schicksal unauflöslich mit Frankreich verknüpft. Das galt auch für die zahlreichen Florentiner, die weiterhin an die Prophezeiungen Savonarolas glaubten.
Doch das alles galt nicht für Machiavelli. Gerade ihm musste klar sein, dass seine Stellung als Zweiter Kanzler vom Fortbestand des governo largo abhing. Den Medici galt er als fanatischer Republikaner, von einem Umsturz zu ihren Gunsten hatte er nur Nachteile zu erwarten. Er musste also im ureigenen Interesse alles tun, um das gegenwärtige System zu erhalten. Umso unbegreiflicher stellt sich das praktische Ergebnis seiner dritten Frankreich-Mission dar: Augen zu und durch! Alles, was den politischen Denker Machiavelli bislang ausgezeichnet hatte, nämlich psychologischer Scharfblick und die nüchterne Auswertung historischer Erfahrung, ließ er nun außer Acht.
Wie oft hatte Machiavelli bei seinen vorangehenden Begegnungen mit Ludwig XII. betont, dass dieser geizige Herrscher eine kurzsichtige Politik des krassen Eigennutzes verfolge und Florenz daher von ihm nichts Gutes zu erwarten habe. Diese ernüchternde Vorhersage hatte sich in der Zwischenzeit stets aufs Neue bewahrheitet. So bleibt nur der Schluss, dass die Macht der Tradition auch in einem so unkonventionellen Geist wie Niccolò Machiavelli in Zeiten der politischen und gesundheitlichen Krise unwiderstehlich war. Hinzu kam, dass Machiavelli wie so viele originelle Denker Gefahr lief, zum Gefangenen seiner eigenen Dogmen zu werden: Spanien zählte nicht, weil es nicht zählen durfte, ungeachtet aller militärischen
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