Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
am Leben lässt, werden sie diesen nicht behalten, genauso wenig wie ihre eigene Stadt. Schreibe deinen Herren also, dass sie guten Mutes sein sollen![ 4 ]
Ein Diplomat vom Format Machiavellis hätte dazu nur zwei Worte zu sagen gehabt: billige Ablenkungsmanöver! Florenz Hoffnung auf den Gewinn Sienas zu machen, war angesichts der aktuellen politischen Lage sehr weit hergeholt. Doch dieser Kommentar blieb aus. Stattdessen gab Machiavelli in seinem Bericht endlose Auslassungen des Königs in voller Länge wieder:
Was den Kaiser betrifft, so sei er dessen völlig sicher. Und zu den Schweizern sagte er Folgendes: Bei meinem Ehrenwort, ich bin mir nicht sicher, ob ich sie zum Papst durchkommen lassen soll oder nicht. Denn ich weiß nicht, ob es besser ist, den Papst ohne diese Armee zu lassen oder mit dieser Truppe, die ihm als Bedrohung im Nacken sitzt. Und daraufhin ließ er sich ausführlich über die Schweizer aus, dass er sie trotz großer Summen und Anstrengungen kaum je nach seinen Wünschen einsetzen konnte. Und er schloss damit, dass die Schweizer den Papst wie den Herzog Ludovico Sforza verraten würden, doch habe er Vorsorge getroffen, um sie zurückzuhalten.[ 5 ]
Ludwig XII. spreizte sich vor Machiavelli als unumschränkter Herr Italiens. Nahm ihm der Gesandte der Republik diese Aufschneidereien ab? Was er auch immer davon gehalten haben mag, er enthielt sich jeden Kommentars. Doch wer so referierte, stimmte letztlich zu. Machiavellis eigene Bemerkungen in einem Postscriptum waren nicht viel aufschlussreicher:
Hier missfallen die Unternehmungen des Papstes allen, und alle sind der Meinung, dass er die Christenheit ruinieren sowie Italien zerstören will. Doch da ihm der Anschlag auf Genua misslungen ist, besteht Hoffnung: Wenn er nicht in seinem Starrsinn verharrt und nicht noch größeres Unheil anrichten will, lassen sich die Dinge noch rechtzeitig stoppen, vor allem dann, wenn sich gute Vermittler einschalten.[ 6 ]
Das war die Ansicht des französischen Hofs, die sich Machiavelli ganz zu eigen machte. Die Schlussfolgerungen für Florenz lauteten demnach, dass die Republik die Rolle des ehrlichen Maklers zwischen dem König und dem Papst spielen musste, da eine solche Friedensstiftung eine gute Tat war und überdies dem legitimen Eigeninteresse der Republik diente:
Auf der anderen Seite ist es riskant, sich an einem Papst rächen zu wollen. Denn gegen einen Fürsten, der die Kirche verteidigen will, kann man nichts Ehrenhaftes unternehmen. Daher ist zu befürchten, dass der König sich bei einem offenen Vorgehen gegen den Papst die ganze Welt zu Feinden machen wird. Umso leichter sollte er deshalb guten Rat annehmen.[ 7 ]
Das war wiederum eine eigentümliche Mischung aus Rationalität und Wunschdenken. Dass Fürsten als Beschützer eines Papstes Prestige gewannen und zudem einen optimalen Vorwand hatten, um eigennützige Zwecke zu verfolgen, war richtig und zudem noch zurückhaltend ausgedrückt. Julius II. in der gegenwärtigen politischen Lage in die Enge zu treiben, wäre geradezu politischer Selbstmord. Eine solche Attacke roch in frommen Kreisen nach Blasphemie; ein Papst konnte sich daher mancherlei Winkelzüge erlauben, die einen weltlichen Fürsten in den Abgrund stürzen würden.
Illusionär war hingegen die Hoffnung, dass ausgerechnet Florenz die Versöhnung in letzter Minute herbeiführen sollte, wie Machiavelli nochmals ausdrücklich empfahl. Dieser Erwartung lag eine psychologische Fehleinschätzung des Della Rovere-Papstes zugrunde:
Julius müsste nach dem Fehlschlagen seiner Unternehmung gegen Genua demütiger geworden sein … Und wenn er furchtsamer geworden ist, dann dürfte es nicht an Mitteln fehlen, ihn in Schach zu halten, wenn, wie gesagt, gute Vermittler zur Stelle sind.[ 8 ]
Machiavelli hätte es besser wissen müssen: Rückschläge wie der vergebliche Versuch, dem französischen König Genua durch die Unterstützung oppositioneller Kreise zu entreißen, ließen diesen Papst nicht verzagen, sondern steigerten nur seine Entschlossenheit. Diese Einsicht hatte Machiavelli selbst knapp vier Jahre zuvor gewonnen und seinen Auftraggebern mitgeteilt. Und was hatte der schreckliche Greis auf dem Thron Petri denn schon zu befürchten? Ihm ging es um die Ehre der Kirche und seiner Person, wie Machiavelli seinerzeit zu schreiben nicht müde geworden war. Was zählte für den Papst gegenüber dieser Ehre schon die Verwüstung Italiens?
Doch Machiavellis Bild des Della Rovere-Papstes
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