Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Erfolge. Spanien zählte nicht, weil es sich von den ewig gültigen Vorbildern des alten Rom entfernt hatte. Der Große Kapitän war militärische Wege gegangen, die Rom nie beschritten hatte. Was der Meisterdenker Machiavelli nicht anerkannte, durfte nicht sein.
In seinem Votum für Frankreich wurde Machiavelli überdies von ernstzunehmenden Freunden bestärkt. In einem Brief vom August 1510 drückte auch Francesco Vettori seine Ratlosigkeit über die Politik Julius’ II. aus, den er als blindwütigen Kriegstreiber bezeichnete. Zugleich äußerte er die Hoffnung, dass der Papst demnächst aus Rom vertrieben werde. Wenn er gegen den französischen König Krieg führe, habe er sehr viel mehr zu verlieren als dieser. Das Schreiben zeigt, was die politische und intellektuelle Elite der Republik Florenz vom Papsttum hielt: Als politische Macht unter anderen politischen Mächten musste es sich die harten Regeln des politischen Machtkampfes gefallen lassen. Machiavellis Einsicht, dass ein Julius II. bei aller Rücksichtslosigkeit, mit der er die Religion als Herrschaftsmittel einsetzte, auf den Bonus des Stellvertreters Christi hoffen durfte, teilte die florentinische Führungsschicht nicht. Das zeigen auch die Briefe Roberto Acciaiuolis, der schließlich in den sauren Apfel gebissen hatte und als offizieller Botschafter der Republik an den französischen Hof gezogen war. Auch er setzte ganz auf die französische Allianz und beglückwünschte Machiavelli zu seinen Erfolgen:
Und ich habe vor Augen, wie Casa, Francesco und Luigi Euch nach Eurer Rückkehr zu Hause abholen, Euch aushorchen und in den Dom führen, um dort ein Gelöbnis einzulösen. Ich erinnere Euch daran: Je mehr Ansehen ihr erwerbt, desto mehr werdet ihr geschätzt.[ 12 ]
Das war der typische Umgangston der Patrizier mit dem Sekretär Machiavelli: kameradschaftlich, schulterklopfend, doch zugleich etwas forciert. Darauf folgte mit gebührender Herablassung ein gut gemeinter Rat, wie man es machen müsse, um nach oben zu kommen. Keine andere Mission brachte dem Chef der Zweiten Kanzlei mehr Renommee ein als diejenige, die in den Abgrund führte.
Nur eine einzige Gegenstimme wurde hörbar:
Deine Briefe haben hier alle zum Gähnen gebracht. Man denkt und denkt erneut, doch man tut nichts … So aber muss es uns ergehen wie denen, von denen Quintilius sagt: Ohne Glück, ohne Ehre werden wir der Preis des Siegers sein.[ 13 ]
Das waren die Schlüsse, die ein Mitarbeiter der Kanzlei zog, der seinen Namen nicht nennen wollte. Dass Machiavellis Briefe ihre Empfänger gähnen ließen, sollte wohl heißen, dass sie die vorgefassten Meinungen der politischen Klasse bestätigten. Diese aber, so weiter der anonyme Briefschreiber, würden binnen Kurzem großes Unheil zur Folge haben. Was die Großen und Klugen nicht sahen, sahen die Kleinen. Sie durften jedoch nicht wagen, ihre Befürchtungen offen auszusprechen. Zweifel an Frankreich waren tabu. Machiavelli solle diese «Hirngespinste» daher geheim halten. Offenbar wusste er, von wem sie stammten.
Nach dem Stress der Gesandtschaft zog es den Diplomaten Machiavelli zur Poesie. Obwohl erst fünf Jahre vergangen waren, verfasste er ein zweites «Zehnjahresgedicht», das die politischen Geschicke Italiens und speziell der Republik Florenz von 1504 bis 1509 zum Thema hatte. Wie schon in der ersten, überaus erfolgreichen Versdichtung gab sich der Verfasser auch in diesem zweiten Decennale überwiegend konventionell:
Den Wandel der Königreiche, Herrschaften und Staaten,
der sich in Italien zutrug,
vom göttlichen Ratschluss vorherbestimmt,
will ich besingen![ 14 ]
Zu diesem göttlichen Willen gehörte demnach auch die blinde Wut Julius’ II., der in den düstersten Farben geschildert wird:
Währenddessen konnte Papst Julius
seinen wilden Sinn nicht im Zaum halten
und ließ die Banner der Kirche im Winde flattern.
Und voll natürlichem Zorn und Wut
verspritzte er sein erstes Gift gegen die,
die die Länder der Kirche besetzt hielten.[ 15 ]
Das zweite Gift, so musste der Leser schließen, war dann für Florenz reserviert. Doch auch die übrigen Mächte Italiens geraten ins Kreuzfeuer der Kritik. Die überheblichen Venezianer lernen in der Schlacht von Agnadello Demut: eine Lektion, die laut Machiavelli auch den übrigen Regierenden zu wünschen war. Blind vor Machtgier werden sie zu Spielbällen Fortunas:
Haltet ein, ihr Hochmütigen mit stolzem Gesicht,
ihr, die ihr Zepter und Kronen tragt,
doch die Zukunft nicht
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